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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Wänden hängen Bilder, am geheimnisvollsten das Foto eines gewissen Danny McIver, der – so erklärt der Text darunter – vor seinem verschwundenen Haus steht und unter den Armen jene zwei Gegenstände trägt, die ihm geblieben sind: ein Waschbecken und eine Katze. Auch ein Illustrierten-Cover mit Gina Lollobrigida ist zu sehen, neben ihren bemerkenswerten Beinen wird auf die Horror-Reportage verwiesen (im Heftinnern nachzulesen). Denn alle runden Geburtstage kommt die Presse wieder nach Darwin und schwärmt vom Post-Grauen, das nach dem Besuch der Bestie hätte kommen sollen, aber aus unerklärlichen Gründen nie kam.
    Auf dem Weg hinaus noch ein Blick auf den gemeinsten Killer, den Australien zu bieten hat, den Box Jellyfish. Selbst vor dem Aquarium, in dem er leblos und präpariert hängt, will man kein Aufsehen erregen. Er sieht viereckig aus (daher der Name), an der Unterseite baumeln seine giftgräulichen Fäden. Jeder, den sie streifen, wird – so berichten alle, die kein Glück haben im Leben – den grässlichsten Schmerz erfahren, den ein Mensch erfahren kann. Streifen die Lianen das Herz, hat das Opfer noch zwei, drei Minuten Zeit, um sich aufs Sterben vorzubereiten. Als dankbar Vergifteter, denn die Marter soll von überirdischen Ausmaßen sein. An australischen Stränden, überall da, wo sich der Giftzwerg (nicht länger als 20 cm) herumtreibt, stehen Essig-Vorräte, für jeden zugänglich. Wer an Armen und Beinen getroffen wird, überlebt, wenn er sich umgehend das Konservierungsmittel über die Wunden schüttet. Mit Wundspuren, die aussehen wie in die Haut gebrannte Schienen.
    Außerhalb des Stadtkerns sieht Darwin anmutig aus, man schaut auf Häuser, die es mit der Natur aufnehmen, in der sie stehen. So harmonisch und farbsicher schmiegen sie sich an. Ja, man traut sich kaum, es auszusprechen: Sie sehen noch fulminanter aus als die üppig wuchernde Umgebung. Architektur zu bewundern kann wirken wie das Bewundern von Sprache. Man steht davor und geht irgendwann weiter. Aber beschwingter, mit mehr Kraft für das Leben, mehr Widerstandskräften, um das Hässliche auszuhalten.
    Ich komme am hiesigen Darwin Bowls Club vorbei und bin sofort im 19. Jahrhundert. Wunderbar dekadentes Erbe aus England. Ältere Damen und Herren – unter Sonnenschirmen am Kaffeetisch – blicken vom Rand des wohlgepflegten bowling ground interessiert auf andere ältere Damen und Herren in schmucken Uniformen, die – gespannt verfolgt von zwei Schiedsrichtern – ungemein bedachtsam eine schwarze Kugel Richtung einer weißen Kugel werfen. Sie agieren hier mit dem phänomenalen Todernst von Erwachsenen, die sich stillschweigend darauf geeinigt haben, dass es sich bei diesem Tun um mehr handelt als um eine Beschäftigungstherapie für leicht verwirrte Zeitgenossen. Ich schaue gern zu, wenn ein Wurf gelingt und alle, noch wunderbarer degeneriert, verhalten snobistisch klatschen. Natürlich bleibt auch heute die Frage ungelöst, wie ein Volk, das einst die halbe Welt erobert hat, ein so stinkfades, so friedliebendes Spiel erfinden konnte.
    Vor Jahren habe ich zufällig einen Bericht über zwei Tschechen, zwei Einwanderer, gelesen, die in Darwin gehängt worden waren. So besuche ich das Fannie Bay Gaol, das einstige Zuchthaus, wo sie Verbrecher, Leprakranke und Boatpeople aus Vietnam kasernierten. ( Gaol ist die australische Version des englischen Wortes jail , die Aussprache ist dieselbe.) Heute eine Freilichtanlage, jeder kann sie besuchen. Ich frage nach dem Galgen und gehe direkt in die ehemalige Krankenstation, wo die Exekutionen durchgeführt wurden. Die Geschichte der beiden war faszinierend, ihr Motiv grausam und romantisch zugleich. Am 17. April 1952 erschießen Jerry (Jerzy) Koci und John (Jonus) Novotny den Darwiner Taxifahrer George Grantham. Sie wählten ihn als Opfer, weil er einen imposanten amerikanischen Wagen fuhr. Sie stiegen ein als Kunden und stiegen aus als Mörder. Und verscharrten irgendwo die Leiche. Talentlose Mörder, denn gut gelaunt setzten sie sich hinterher wieder ans Steuer und fuhren los. Sie wollten nach Melbourne, unendlich weit weg am unteren Ende des Kontinents, wollten – so träumten sie – den Schlitten dort verkaufen und per Boot oder per Flugzeug das verfluchte Australien verlassen. Da nur eine Straße in den Süden führte, wurden sie Tage darauf

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