Im Land der Regenbogenschlange
heutigen Lokalzeitung sieht man zwei berittene Polizisten an der Todd Tavern vorbereiten. Sie sind Teil der neuen anti-grog campaign , die seit gestern in Kraft ist (Grog ist in Australien das Synoym für jede Art Alkohol). Auch »Alice« soll dry werden. Endlich. Ist das nicht zum Kichern? Zum Weinen? Denn hier kommt der 50. oder 51. Schlachtplan, um das Problem zu lösen. Die Polizei darf jetzt jeder öffentlichen Schnapsdrossel den Drink wegnehmen, ihn vor seinen Augen wegschütten, ihn â ja, so steht es da â »auffordern, nicht mehr zu trinken«. Und 100 Dollar Strafe kassieren. Auf der Stelle. Hat jemand die Summe nicht dabei, und er hat sie fast nie dabei, dann wird er zum Richter einbestellt. Das macht dann 500 Dollar. So gerissen sind sie hier, um das »Ãbel an der Wurzel zu packen.« (Ein morgiges Gespräch mit Mrs. Mitchell, der Pressesprecherin der hiesigen Polizei, klärt weiter auf: das two-kilometer-law soll zusätzlich dafür sorgen, dass erst in einem zwei-Kilometer-Abstand zum nächsten Spirituosen-Laden getrunken werden darf.)
Neben den Reitersmännern sucht motorisierte Polizei nach den Süchtigen. Dazu wurden spezielle cages (Käfige) in den Fond montiert, »um die Wilden«, sorry, das steht nicht da, da steht, »um die Renitenten aufzugreifen.« Ich gehe zur erwähnten Todd Tavern, hier muss was sein. Und tatsächlich, schon an der Rezeption hört man einen dumpfen, bassgetriebenen Rhythmus. Ich erfahre, dass es sich um die »animal farm« handelt, im Nebenhaus gelegen. Der Saufplatz heiÃt offiziell Riverside Bar , der (weiÃe) Türsteher lächelt, ich darf passieren.
Und so sieht es in der Tierfarm aus: dunkel mit wenig künstlichem Licht, kein Strahl von drauÃen, schwerer Rauch hängt in der Luft, an der Wand klebt das Foto einer nackten â warum?, keiner weià es â Rubgy-Mannschaft. Daneben No spitting -Schilder und mehrere Hinweise, dass die Räumlichkeit videoüberwacht wird. Und die Information, dass genau hundert Personen zugelassen sind. Fernseher laufen, eine Jukebox leuchtet. Jetzt ist es 11 Uhr 57 und ich beginne zu zählen. 141 Leute befinden sich in dem Raum, davon 39 Frauen. AusschlieÃlich Aborigines, die Tiere. Bis auf wenige haben alle diese puffy faces , diese vom Alkohol geblähten Gesichter, alle mit einer Dose in der Hand. Warum keine Flaschen? Verboten, höre ich, wegen Gewaltgefahr.
Die Bässe dröhnen, aber keiner grölt, wenige reden, alle sitzen oder stehen, alle saufen. Ãber einen der Screens flimmert das letzte Video der Bad Boys , ein Endlosband. Ist es zu Ende, fängt es von vorn an. Produziert von einer Rap-Band, die aus schwarzen Australiern besteht. Sie singen von ihrer Welt, der immer wiederkehrende Refrain lautet: »Watch you gonna do, they come for you«. »They«, das sind die Bullen, man sieht die Käfigwagen, die Handschellen, die Leibesvisitationen, die Zuchthäuser, die rohe Vehemenz der Staatsmacht. Im selben Moment wird mir klar, dass nur drei WeiÃe anwesend sind. Der Mann, der sie reinlässt (oder rausschmeiÃt), der Mann am Tresen, der sie kistenweise bedient, ich, der sie betrachtet.
Ich fühle keine Bedrohung, ein paar schnorren, einer hat die Geduld (und die Konzentration) für meine Fragen. Von 10 bis 14 Uhr ist hier Betrieb, dann gehen sie ums Eck â manchmal hat der Zynismus keinen Namen â und versorgen sich im Drive In Bottle Shop . (Ebenfalls in weiÃer Hand.) Und fahren nach Hause. Denn der 2-Kilometer-Sicherheitsabstand muss sein. Um weitersaufen zu dürfen in ihren eingezäunten camps , die früher reservations hieÃen und noch immer aussehen wie vermüllte Proletensiedlungen.
Ich will noch eine Szene beschreiben. Die soll genügen, um vom Niedergang eines Volkes (»Völker« wäre genauer) zu berichten, dessen Frauen und Männer einmal biegsam waren, frei, leicht, federnd, einmal Besitzer ihrer Welt, und von denen heute viele in Sack und Asche leben, sprich, blau und blöd vor der Glotze verwittern, deren Männer blau und blöd ihre Frauen prügeln, deren Väter blau und blöd ihre Töchter (und Söhne) missbrauchen und blau und blöd knapp achtzehn Jahre früher sterben als die anderen Australier.
Natürlich gibt es keine eindeutige Antwort, warum alles so gekommen ist. Vielleicht zerbrach etwas in ihnen, vielleicht hört man nach einer
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