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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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letzten Erniedrigung auf, sich zu wehren. Es geht nicht um Schuldzuweisung. Vieles wurde unternommen, auch von staatlicher Seite, auch von Weißen, um das Desaster zu bremsen. Möglicherweise ist jedoch der Verlust ihres Landes, ihrer Lebensform, ja ihres Stolzes nicht zu kompensieren. Seit 50 000 Jahren sitzen die Gene des Jägers und Sammlers in ihnen. Sie rausholen? Sie weglasern? Deshalb greifen die Schmähungen der »fleißigen Mehrheit« nicht, die vom »lazy Abo« spricht. Wie recht sie hat, in ihren Augen ist er faul. Weil er keinen Bock hat, seine Zeit als Parkwächter abzusitzen oder für die nächsten vierzig Jahre sein Leben zwischen neun und fünf Uhr auf einem Bürostuhl einzurichten. Drehen wir die Situation um und wir haben ein ganz ähnliches Ergebnis. Ich wäre sicher ein stinkträger Aborigine. Weil mich andere Träume jagen, als durch Wälder zu pirschen und Kräuter zu pflücken. Ich würde mich drücken und heimlich ins Kino gehen, Bücher lesen, Stan-Getz-Alben hören, Schokolade essen. Nie käme ich auf die Idee, mich zu assimilieren.
    Ã„hnlich die Aborigines. Haben sie doch ein ganz anderes Weltglück im Kopf, wollen nicht werden wie der weiße Mensch, haben doch noch immer nicht – so stand es bedauernd in einem Bericht – »the profit motive« verstanden. Und hier beginnt der Jammer. Denn in der Vergangenheit verharren gibt es nicht in der Geschichte. Sie will eiskalt weiter. Was in Australien gerade abläuft, ist ein Paradefall vom Fortschritt (lassen wir es bei dem Wort) und dessen Kollateralschäden. Die Aborigines gehören zu den »bedrohten Völkern«, und die Bedrohung wird erst aufhö ren, wenn sie verschwunden sind. Verschwunden als Tote oder verschwunden als restlos in den Mainstream Integrierte.
    Hier die Szene: Am nächsten Tag ist welfare day , ich frage nach der Adresse, wo die Stütze ausgezahlt wird. Und komme zur rechten Zeit, wie einbestellt. Meist muss man als Reporter geduldig lauern, bis etwas passiert, aber jetzt geschieht es sofort, ja hat bereits begonnen. Ein vielleicht 50-jähriger Schwarzer geht, mit heftigen Gleichgewichtsstörungen kämpfend, durch die sich automatisch öffnende Tür. Sie schließt sich hinter ihm und der Mann fällt zu Boden, überwältigt vom Promillespiegel. Er bleibt kurz liegen und kriecht dann auf einen Schalter zu, zieht sich nach oben und streckt die Hand aus, die Geste ist eindeutig: »Her mit meiner Sozialhilfe!« Sie kennen ihn wohl hier, denn die (schwarze) Angestellte grinst verlegen und schiebt ein Formular rüber, reicht einen Kugelschreiber. Sie fragt nicht nach seiner identification card , möglicherweise weiß sie, dass er den Ausweis verloren hat. Der Volltrunkene unternimmt den Versuch einer Unterschrift und zieht einen wilden Schwenker über das Papier. Das genügt. Die junge Frau zählt das Geld ab. Seltsamerweise hält er ihr einen Teil wieder hin, auch das wird verstanden. Er will kleine Scheine. Kaum umklammert er mit seiner rechten Faust das Bündel, bricht er erneut zusammen, niemand reagiert, hier wiederholt sich offenbar ein längst bekannter Vorgang. Der Mann kriecht zurück, die Schiebetüren gleiten auseinander, jetzt kommt das Finale. Draußen warten die freeloaders , die Schmarotzer, die family . Big family. Um ihren Anteil einzufordern. Denn der generöse Brauch unter den Aborigines, Besitz grundsätzlich zu teilen, ist seit Langem zum Parasitentum verkommen. Jetzt verstehe ich, warum er die 5-Dollar-Noten wollte, sie sind sein give-away-money . Und er verteilt etwa zehn Stück, auf Knien, leicht kreisend, schweißüberströmt. Goya könnte dieses Bild malen. Oder Edward Hopper. Deep End könnte es heißen. Oder Lost Paradise . Oder Black man kneeling / 10:43 a.m .
    Ich miete mir ein Fahrrad, will irgendwohin, wo es anders zugeht. Bei Rent a bike wird jedem Kunden ein Helm ausgehändigt. »It's the law!«. Ich will aber als Gesetzesbrecher den Tag verbringen, denn ich halte Plastikhüte auf Radfahrer-Köpfen für läppisch. Ich mag den Fahrtwind spüren, zudem nervt wieder diese peinigende, peinliche Risiko-Hysterie. Ich schlage dem Jüngling vor, dass ich unterschreibe, das Teil erhalten zu haben (und es dann vergesse). Zu dieser Untat kann ich den Junggreis nicht überreden. So binde ich das lästige Ding am Rahmen fest. Ich frage

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