Im Land der Regenbogenschlange
um eine Blasen-Operation durchzuführen. Welch kolossales Bild. Nach dem Morsen macht sich Dr. Holland auf den Weg, den 10-Tages-Weg, mittels Ochsenboot, T-Ford, Pferdegepann, FuÃmarsch. Um den erfolgreichen Eingriff und den Tod des Patienten zu bestätigen. Am Vortag verstorben, an Malaria und einer Blinddarmentzündung.
Was für eine Geschichte. Sie ist mitverantwortlich, dass nach allen säglichen und unsäglichen Schwierigkeiten am 15. Mai 1928 ein gemeinnütziges Unternehmen etabliert wurde, das bis heute einmalig ist: so schnell wie möglich an Ort und Stelle den Kranken â jeden Kranken, auch den nichtweiÃen â medizinisch zu versorgen und, wenn ratsam, ins nächste Hospital zu evakuieren. Die ersten Flüge mussten ohne Navigationsgeräte auskommen und ohne Funk. Nur mit Kompass und (ungenauen) Karten suchten die Piloten nach dem Ziel, orientierten sich anhand von Flüssen, Zäunen, Telegrafenmasten. Auch Nachtflüge schreckten nicht, die improvisierten Pisten wurden mit brennenden Kerosindosen oder den Fernlichtern verfügbarer Autos bestrahlt. Bruchlandungen durchaus, aber nie ein tödlicher Crash. Auch nicht nach achtzig Jahren, auch nicht an Tagen, an denen bis zu 200 Starts und Landungen stattfinden.
Als ich den Ausstellungsraum verlasse, geht es mir schlecht. Schlecht vor Neid. Weil ich immer denjenigen was missgönne, die mit Leidenschaft und AusschlieÃlichkeit ihr Leben bewältigen. Noch beneidenswerter, wenn diese Begeisterung zur Freundlichkeit der Welt beiträgt, zu ihrem Reichtum. Mir fällt als Ausrede dann nur ein, dass es Männer und Frauen vergangener Zeiten leichter hatten. Die Sirenen einer von Komfortsucht niedergestreckten Gesellschaft waren leiser, seltener zu hören, die Maschinerie der Verdummung ratterte weniger rastlos. Die Möglichkeiten, sein Dasein als dösiger Konsument zu veraasen, sie waren schlicht nicht vorhanden. Schon möglich, dass ich mich täusche. Aber mein Neid ist mir sicher.
Hundert Meter weiter sehe ich einen Mann, der nicht â wie der Kollege in Syndey â mit dem Staubsauger sein Reich, das Trottoir vor seinem Haus, säubert, sondern mit einem Laubbläser Blätter und sonstige hässliche Natur vom Beton fegt. Der schönste Beton ist der Sichtbeton. Ohne lästiges Grün, ohne Zweiglein, nein, strahlend grau soll er sein, fleckenlos, soll Seligkeit auslösen bei jedem Betonkopf, der hier vorbeikommt. Jetzt ist der Neid verflogen, hier schafft kein Held, hier steht wieder ein Trottel vor mir.
Für ein paar Stunden fahre ich raus aus der Stadt, fahre kilometerlang in eine Tiefenschärfe, die nie aufhört. Wüste ist schön, am schönsten, wenn sie blau bestrahlt wird. Und der Wind in die Speichen pfeift, dabei ein Geräusch erzeugt, das man nur hört, wenn kein anderes stört.
Zuletzt noch ein Umweg zur Telegraph Station , die ab 1872 betriebsbereit war, 60 Jahre lang. Insgesamt 36â000 Holzpfosten wurden von Süden nach Norden aufgestellt, mitten durch das Land. Ted, der zuvorkommende Guide, erzählt von einer Begebenheit, die heute nicht mehr nachvollziebar scheint. Als die erste Antwort aus London auf ein hiesiges Telegramm eintraf, blieben die Leute auf den StraÃen von Alice Springs stehen. Und heulten. Einen Tag zuvor brauchte eine Nachricht noch drei oder vier Monate oder kam nie an. Weil das Schiff sank. Aber jetzt kam sie in zwei oder drei Stunden. Heulten, weil sie wussten, dass die unheimliche Isolation ein Ende hatte. Ab jetzt gehörten sie zur Welt. Für jemanden aus dem 21. Jahrhundert redet Ted wie ein Märchenonkel.
Als ich am nächsten Tag aufwache, meldet das Radio, dass über zwei Millionen Australier »brain damage« riskieren, wenn sie so weitertrinken. Schon unten an der Rezeption bin ich vollkommen von der Richtigkeit der Hochrechnung überzeugt. Es ist Sonntag und hier im Hotel gibt es keine Küche, der Dialog:
â Kennen Sie ein Lokal, wo ich frühstücken kann?
â Wann? Heute?
Ich mache mich auf leisen Sohlen davon, sonst droht in dieser Herberge noch gröÃeres Malheur. Ich will das Konto meiner guten Sterne nicht überziehen. Man hat nicht immer Glück.
Mit einem regionalen Bus nach Hermannsburg, 125 Kilometer westlich von Alice Springs. Der Fahrer heiÃt Frank Lauterbach, den Namen hat er von seinen deutschen Vorfahren, er kennt sogar seinen bekannten Namensvetter Heiner L.,
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