Im Land der weissen Rose
nur einen Huf vor den anderen zu setzen. Erst als Helen es
schwungvoll in die Seite trat, gab es eine Art Stöhnen von sich
und trat an. Doch Gwyneira war nicht zufrieden.
»So wird das nichts! Wenn du es trittst, geht es nicht
vorwärts, dann wird es nur wütend!« Gwyneira hockte
auf dem Holzzaun wie ein Hütejunge und unterstrich ihre Rede mit
dirigierenden Bewegungen ihrer Reitgerte. Ihr einziges Zugeständnis
an die Schicklichkeit bestand darin, die Füße hochzuziehen
und artig unter dem Reitrock zu verstecken, was ihren Sitz ziemlich
unsicher machte. Dabei wäre der Balanceakt gar nicht nötig
gewesen. Die feixenden Kinder hätten Gwyneiras Beinen vermutlich
nicht mal dann einen zweiten Blick geschenkt,wenn sie nicht ganz auf
die Ereignisse im Paddock konzentriert gewesen wären. Liefen
ihre Mütter doch ständig barfuß, mit halblangen
Röcken oder gar halb nackt herum.
Doch Helen hatte jetzt keine Zeit, weiter darüber
nachzudenken. Sie musste sich zu sehr darauf konzentrieren, ihr
störrisches Maultier um den Paddock zu lenken.
Erstaunlicherweise war das Obenbleiben gar nicht so schwer; Howards
alter Sattel bot genügend Halt.Aber leider neigte ihr Reittier
dazu, an jedem Grasbüschel stehen zu bleiben. »Wenn ich es
nicht trete, bewegt es sich gar nicht!«, klagte sie und stieß
dem Muli noch einmal die Absätze in die Rippen.»Vielleicht
... wenn du mir das Stöckchen gibst. Dann könnte ich es
hauen!« Gwyneira verdrehte die Augen. »Wer hat dich bloß
als Erzieherin angeheuert? Schlagen, treten ... mit deinen Kindern
gehst du doch auch nicht so um!« Sie warf einen Blick auf die
feixenden kleinen Maoris, die den Kampf ihrer Lehrerin mit dem
Maultier sichtlich genossen. »Du musst das Maultier lieben,
Helen! Bring es dazu,gern für dich zu arbeiten. Na los, sag ihm
was Nettes!«
Helen seufzte, dachte nach und beugte sich dann widerwillig nach
vorn. »Was hast du für schöne, weiche Öhrchen!«,
gurrte sie und versuchte, die gewaltigen Tütenohren des Muli zu
streicheln. Das Tier quittierte die Annäherung mit einem
wütenden Schnappen in Richtung ihrer Beine. Helen fiel vor
Schreck beinahe vom Maultier, Gwyneira vor Lachen fast vom Zaun.
»Lieben!«, schnaubte Helen. »Es hasst mich!«
Eines der älteren Maori-Kinder machte eine Bemerkung, die von
den anderen mit Kichern quittiert wurde, während Helen rot
anlief.
»Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Gwyn.
Helen biss sich auf die Lippen. »Nur ein Bibelzitat«,
murmelte sie.
Gwyn nickte bewundernd. »Also, wenn du diese Rotzblagen dazu
kriegst, freiwillig die Bibel zu zitieren, solltest du doch auch
einen Esel in Gang bringen! Das Muli ist deine einzige Fahrkarte nach
Haldon. Wie heißt es eigentlich?« Gwyneira wedelte mit
der Gerte, hatte aber offensichtlich nicht die Absicht, sie ihrer
Freundin zum Antreiben des Mulis zur Verfügung zu stellen.
Helen sah ein, dass sie das Maultier würde taufen müssen
...
Nach der Reitstunde tranken sie doch noch Tee, und Helen erzählte
von ihren kleinen Schülern.
»Reti, der älteste Junge, ist sehr aufgeweckt, aber
ziemlich frech. Und Rongo Rongo ist entzückend. Überhaupt
sind es nette Kinder. Das ganze Volk ist freundlich.«
»Du kannst auch schon ganz gut Maori, nicht wahr?«,
meinte Gwyn bewundernd. »Ich schaffe leider nur ein paar
Worte.Aber ich komme auch nicht dazu, die Sprache zu lernen. Es gibt
zu viel zu tun.«
Helen zuckte die Schultern, freute sich aber doch über das
Lob. »Ich habe ja vorher schon Sprachen gelernt, dadurch wird
es leichter.Außerdem habe ich sonst niemanden, der mit mir
redet. Wenn ich nicht völlig vereinsamen will, muss ich es
lernen.«
»Redest du denn nicht mit Howard?«, fragte Gwyn.
Helen nickte. »Schon, aber ... aber wir ... wir haben nicht
allzu viel gemeinsam ...«
Gwyn verspürte plötzlich Schuldgefühle. Wie sehr
würde ihre Freundin die langen Gespräche mit Lucas über
Kunst und Kultur genießen – ganz abgesehen von seinem
Klavierspiel und seiner Malerei. Sie sollte für ihren
kultivierten Gatten dankbar sein. Meist aber verspürte sie nur
Langeweile.
»Die Frauen im Dorf sind auch sehr entgegenkommend«,
sprach Helen weiter. »Ich frage mich, ob eine davon Hebamme ist
...«
»Hebamme?«, rief Gwyn. »Helen! Sag nicht, dass
du ... ich glaub es nicht!
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