Im Land der weissen Rose
einen Stich ins Herz.
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Miss Helen«,
sagte er sanft. »Ich habe ein Farmhaus gesehen ... nicht groß,
nicht luxuriös, aber fest gebaut und liebevoll eingerichtet. Und
das Vieh sieht zwar nicht preisverdächtig aus, wird aber
gefüttert, und die Kühe werden gemolken.« Er
zwinkerte. »Und das Maultier scheint Sie regelrecht zu lieben!«
Nepumuk stieß sein übliches, durchdringendes Röhren
aus, als Helen an seinem Paddock vorbeikam.
»Sicher werde ich Ihren Gatten auch als Gentleman kennen
lernen, der sich nach Kräften bemüht, seine Familie gut zu
ernähren und seine Farm mustergültig zu bewirtschaften.
Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Helen.«
Helen sah ihn ungläubig an. Dann lächelte sie. »Sie
tragen eine rosarote Brille, George!«
Er zuckte die Achseln. »Sie machen mich glücklich, Miss
Helen. Wo immer Sie sind, kann ich nur Schönes und Gutes sehen.«
Helen wurde glühend rot. »George, bitte. Das sollte nun
wirklich vorbei sein ...«
George grinste sie an. War es vorbei? In gewisser Weise schon, das
konnte er nicht abstreiten. Sein Herz hatte höher geschlagen,
als er Helen wiedersah; er freute sich an ihrem Anblick, an ihrer
Stimme, ihrem ständigen Balanceakt zwischen Schicklichkeit und
Originalität.Aber er kämpfte nicht mehr gegen das dauernde
Verlangen, sich vorzustellen, wie er sie küsste und körperlich
liebte. Das war Vergangenheit. Für die Frau, die jetzt vor ihm
stand, empfand er allenfalls noch vage Zärtlichkeit. Ob das auch
so gewesen wäre, hätte sie ihn damals nicht abgewiesen?
Wäre seine Leidenschaft auch dann Freundschaft und
Verantwortungsgefühl gewichen? Möglicherweise noch bevor er
seine Studien beendet und den Bund der Ehe mit ihr hätte
schließen können? Und hätte er sie dann tatsächlich
geheiratet oder doch darauf gehofft, dass die heiße Liebe bei
einer anderen wieder aufloderte?
George hätte keine dieser Fragen mit Sicherheit beantworten
können – bis auf die letzte. »Wenn ich sage für
immer, dann meine ich es auch.Aber ich werde Sie nicht weiter damit
behelligen. Sie werden ja doch nicht mit mir davonlaufen, nicht
wahr?« Das alte, freche Grinsen.
Helen schüttelte den Kopf und hielt Nepumuk eine Möhre
hin. »Ich könnte das Maultier niemals verlassen«,
scherzte sie mit Tränen in den Augen. George war so süß
und immer noch so unschuldig. Wie glücklich würde er das
Mädchen machen, das seine Versprechen einmal ernst nehmen
durfte!
»Aber nun kommen Sie herein, und erzählen Sie von Ihrer
Familie.«
Der Innenraum der Hütte entsprach Georges Erwartungen:
schlichtes Mobiliar,aber wohnlich gemacht durch die Hand einer
unermüdlichen, reinlichen und geschäftigen Hausfrau. Den
Tisch zierten eine bunte Decke und ein Krug voller Blumen; die Stühle
wurden durch selbst genähte Kissen bequemer. Vor dem Kamin
standen ein Spinnrad und Helens alter Schaukelstuhl – und auf
einem Regal waren säuberlich ihre Bücher aufgereiht. Es gab
sogar ein paar neue. Geschenke von Howard, oder doch eher »Leihgaben«
von Gwyneira? Kiward Station hatte eine umfangreiche Bibliothek,
obwohl George sich kaum vorstellen konnte, dass Gerald viel las.
George berichtete von London, während Helen Tee zubereitete.
Sie arbeitete dabei mit dem Rücken zu ihm; sicher wollte sie
nicht, dass er ihre Hände sah. Raue, verarbeitete Hände;
nicht mehr die zarten, gepflegten Finger seiner alten Gouvernante.
»Mutter betreut nach wie vor ihre
Wohltätigkeitsorganisationen – nur das Waisenhauskomitee
hat sie verlassen nach dem Skandal damals. Das nimmt sie Ihnen
übrigens bis heute übel, Helen. Die Damen sind der festen
Überzeugung, Sie hätten die Mädchen auf der Überfahrt
verdorben.«
»Ich hätte was?«, fragte Helen verdutzt.
»Auf jeden Fall hätte Ihre, ich zitiere,›emanzipierte
Art‹ die Mädchen Demut und Hingabe gegenüber ihren
Arbeitgebern vergessen lassen. Nur deshalb konnte es zu diesem Eklat
kommen. Mal ganz abgesehen davon, dass Sie die Sache an Pastor Thorne
verraten haben. Mrs. Baldwin hat nichts davon verlauten lassen.«
»George, das waren kleine, verstörte Mädchen! Eins
hat man einem Sittenstrolch ausgeliefert, das andere als
Arbeitssklavin verkauft. Eine Familie mit acht Kindern, George,
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