Im Land der weissen Rose
dass er mich am Vormittag empfängt,
Miss Helen?«
Helen biss sich auf die Lippen. »Ich will es ihm gern
ausrichten, und ich weiß, dass die Sache Priorität haben
sollte.Aber Howard ist manchmal ... nun, eigenwillig. Wenn er sich in
die Idee verrennt, Sie wollten ihm einen Termin aufdrängen ...«
Es fiel ihr sichtlich schwer, über Howards Eigensinn und
falschen Stolz zu reden, zumal sie nicht zugeben konnte, wie oft
seine Stimmungen und Entscheidungen von Launen oder Whiskey gesteuert
wurden.
Wie immer sprach sie ruhig und beherrscht, doch George konnte in
ihren Augen lesen – wie schon damals am Abendbrottisch der
Greenwoods. Er sah Wut und Auflehnung, Verzweiflung und Verachtung.
Damals hatten diese Empfindungen sich gegen seine oberflächliche
Mutter gerichtet – heute gegen den Mann, von dem Helen einst
geglaubt hatte, ihn lieben zu können.
»Machen Sie sich keine Sorgen, MissHelen. Sie müssen ja
nicht sagen, dass ich aus Kiward Station komme. Sagen Sie einfach,
ich schaue auf dem Weg nach Haldon vorbei – und ich würde
die Farm gern besichtigen und ein paar geschäftliche Vorschläge
machen.«
Helen nickte. »Ich versuch’s ...«
Gwyneira und die Kinder waren bereits nach draußen gegangen,
um ihr Pferd anzuspannen. Helen hörte die Stimmen der Kinder,
die sich um Striegel und Bürsten stritten. George schien es
nicht so eilig zu haben. Er sah sich noch ein wenig in der Hütte
um, bevor er Anstalten machte, sich zu verabschieden. Helen kämpfte
mit sich. Sollte sie mit ihm reden, oder würde er ihre Bitte
missverstehen? Schließlich beschloss sie, das Thema »Howard«
doch noch einmal anzuschneiden. Wenn George den hiesigen Wollhandel
übernahm, würde ihre gesamte Existenz von ihm abhängen.
Und Howard hätte womöglich nichts Besseres zu tun, als den
Besucher aus England zu brüskieren.
»George ...«, begann sie zögernd. »Wenn Sie
morgen mit Howard reden, seien Sie bitte nachsichtig. Er ist sehr
stolz, nimmt schnell etwas übel. Das Leben hat ihm böse
mitgespielt, und es fällt ihm schwer, sich zu beherrschen. Er
ist ... ist ...«
»Kein Gentleman« wollte sie sagen, brachte es aber
nicht über die Lippen.
George schüttelte den Kopf und lächelte. In seinen sonst
oft so spöttischen Augen standen Sanftmut und ein Nachklang der
alten Liebe. »Sprechen Sie es nicht aus, Miss Helen! Ich bin
sicher, dass ich mit Ihrem Gatten zu einer beide Seiten
befriedigenden Einigung kommen werde. In Sachen Diplomatie bin ich
schließlich durch die beste Schule gegangen ...« Er
zwinkerte ihr zu.
Helen lächelte zaghaft. »Dann bis morgen, George.«
»Bis morgen, Helen!« George wollte ihr die Hand
reichen, überlegte es sich dann aber anders. Einmal, ein
einziges Mal würde er sie küssen. Er legte leicht den Arm
um sie und streifte ihre Wange mit den Lippen. Helen ließ es zu
– und dann gab auch sie ihrer Schwäche nach und lehnte
sich sekundenlang gegen seine Schulter. Vielleicht würde einmal
jemand anders als sie stark sein. Vielleicht hielt einmal jemand
seine Versprechen.
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4
»Sehen Sie, Mr. O’Keefe, ich habe nun mehrere Farmen
in dieser Region besucht«, sagte George. Er saß mit
Howard O’Keefe auf der Veranda von Helens Hütte, und
Howard hatte eben Whiskey eingeschenkt. Helen fand das beruhigend:
Ihr Gatte tranknur mit Männern, die ihm gefielen.Also war die
vorausgegangene Besichtigung der Farm wohl harmonisch verlaufen. »Und
ich muss gestehen«, führte George mit gemessener Stimme
weiter aus, »dass ich besorgt bin ...«
»Besorgt?«, brummte Howard. »Inwiefern? Hier
gibt’s doch jede Menge Wolle für Ihr Geschäft. Da
brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Und wenn meine Ihnen
nicht gefällt ... auch gut, mir brauchen Sie nichts vorzumachen.
Dann such ich mir eben einen anderen Abnehmer.« Er leerte sein
Glas auf einen Zug und schenkte sich neu ein.
George hob verwundert die Brauen. »Warum sollte ich Ihre
Produkte ablehnen, Mr. O’Keefe? Im Gegenteil, ich bin an einer
Zusammenarbeit sehr interessiert. Eben aufgrund meiner Besorgnis.
Sehen Sie, ich habe jetzt mehrere Farmen besichtigt, und dabei
scheint es mir, alsstrebten einige Schafzüchter eine
Monopolstellung an, allen voran Gerald Warden von Kiward Station.«
»Das kann man wohl sagen!«, erregte sich
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