Im Land der weissen Rose
wenn sie es warm haben wollte?
»Kommen Sie, die Schule ist auf der anderen Seite«,
riss Gwyneira George aus seinen Gedanken und ging auch schon um das
Blockhaus herum. »Wir müssen ein Stück durch den
Busch. Die Maoris haben ein paar Hütten im Wäldchen
aufgestellt, zwischen Helens Haus und ihrem eigenen Dorf.Aber sie
sind vom Haus aus nicht einzusehen – Howard möchte die
Kinder nicht zu nah bei sich haben. Das mit der Schule gefällt
ihm ohnehin nicht, er hätte lieber mehr Hilfe auf der Farm.Aber
letztlich ist es so besser. Wenn Howard dringend jemanden braucht,
schickt Helen einen der älteren Jungen. Die eignen sich viel
eher für die Arbeit.«
Das konnte George sich lebhaft vorstellen. Helen bei der
Hausarbeit konnte er sich im Notfall noch ausmalen.Aber Helen beim
Kastrieren von Lämmern oder als Helferin beim Kalben? Nie und
nimmer!
Der Pfad zum Wäldchen war häufig begangen, aber auch
hier sah George Anzeichen für den traurigen Zustand der Farm.
Ein paar Widder und Mutterschafe standen in Pferchen, doch die Tiere
waren durchweg in schlechtem Zustand – mager, die Wolle
verklebt und verschmutzt. Die Zäune wirkten verwahrlost, der
Draht war schlecht gespannt, und die Tore hingen schief in den
Angeln. Kein Vergleich mit der Farm der Beasleys oder gar Kiward
Station. Das Ganze wirkte mehr als trostlos.
Aus dem Wäldchen war allerdings Kinderlachen zu hören.
Die Stimmung dort schien gut zu sein.
»Am Anfang«, las ein helles Stimmchen mit lustigem
Akzent vor, »schuf Gott Himmel und Erde, rangi und papa.«
Gwyneira lächelte George zu. »Helen kämpft mal
wieder mit der Maori-Fassung der Schöpfungsgeschichte«,
bemerkte sie. »Die ist zwar ziemlich eigenwillig, aber die
Kinder formulieren sie jetzt immerhin so, dass Helen dabei nicht mehr
rot wird.«
Während vergnügt und freizügig von den
liebeshungrigen Maori-Göttern erzählt wurde, spähte
George durch das Buschwerk in die palmwedelgedeckten, offenen Hütten.
Die Kinder saßen auf dem Boden und lauschten dem Vortrag des
kleinen Mädchens, das die Geschehnisse des ersten
Schöpfungstages vorlas. Dann kam das nächste Kind an die
Reihe. Und nun sah George auch Helen. Sie saß an einem
improvisierten Pult am Rande der Szenerie, aufrecht und schlank, ganz
wie er sie in Erinnerung hatte. Ihr Kleid abgetragen, aber sauber und
hochgeschlossen – zumindest von der Seite war sie ganz die
korrekte, beherrschte Gouvernante, die er in Erinnerung hatte. Sein
Herz klopfte wild, als sie jetzt einen anderen Schüler aufrief
und George dabei ihr Gesicht zuwandte. Helen ... für George war
sie immer noch schön, und das würde sie stets bleiben,
egal, wie sie sich veränderte, und egal, um wie viel älter
sie wirkte. Letzteres allerdings erschreckte ihn. Helen Davenport
O’Keefe war in den letzten Jahren deutlich gealtert. Die Sonne,
die ihren gepflegten weißen Teint gebräunt hatte, meinte
es nicht gut mit ihr. Dazu wirkte ihr einst schmales Gesicht jetzt
spitzer, beinahe verhärmt. Ihr Haar allerdings war nach wie vor
leuchtend kastanienbraun. Sie trug es zu einem dicken, langen Zopf
geflochten, der über ihren Rücken fiel. Ein paar Strähnen
hatten sich gelöst, und Helen strich sie achtlos aus dem
Gesicht, während sie mit den Schülern scherzte –
häufiger als damals mit William und ihm, wie George eifersüchtig
feststellte. Überhaupt wirkte Helen weicher als früher, der
Umgang mit den Maori-Kindern schien ihr Spaß zu machen. Und
auch ihr kleiner Master Ruben tat ihr offensichtlich gut. Ruben und
Fleurette schlichen sich eben an. Sie kamen zu spät zum
Unterricht, hofften aber, dass Helen es nicht merkte. Das war
natürlich vergebens. Helen unterbrach den Unterricht nach dem
dritten Schöpfungstag.
»Fleurette Warden. Schön, dich zu sehen.Aber meinst du
nicht, dass eine Lady höflich Guten Tag sagt, wenn sie sich zu
einer Versammlung gesellt? Und du, Ruben O’Keefe – ist
dir schlecht, oder warum bist du so grün im Gesicht? Lauf rasch
zum Brunnen, und wasch dich, damit du aussiehst wie ein Gentleman. Wo
ist denn deine Mutter, Fleur? Oder bist du wieder mit Mr. McKenzie
gekommen?«
Fleur versuchte, gleichzeitig den Kopf zu schütteln und
gewichtig zu nicken. »Mummy ist auf der Farm mit Mr. ...
irgendwas mit Wood«, verriet sie dann. »Aber ich
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