Im Land der weissen Rose
vertraut. Doch alles wirkte klarer, größer,
weitläufiger. Keine Pferche, keine Mauern grenzten die
Landschaft ein,und nur selten war ein Haus zu sehen. Gwyneira empfand
ein Gefühl von Freiheit. Hier würde sie endlos galoppieren
können, und die Schafe konnten sich über ein riesiges
Gebiet verstreuen. Nie wieder würde man darüber reden
müssen, ob das Gras ausreichte oder ob man den Tierbestand
verringern musste. Es gab Land im Ãœberfluss!
Geralds Zorn auf das Mädchen verrauchte, als er ihr
strahlendes Gesicht sah. Es spiegelte das Glücksgefühl, das
auch er beim Anblick seines Landes immer wieder empfand. Gwyneira
würde sich hier zu Hause fühlen. Vielleicht würde sie
Lucas nicht lieben, aber ganz sicher dieses Land!
Helen kam zu dem Ergebnis, dass sie sich arrangieren musste. Das
hier war nicht, was sie sich vorgestellt hatte, andererseits war ihr
von allen Seiten versichert worden, Christchurchsei eine aufstrebende
Gemeinde. Die Stadt würde wachsen. Irgendwann würde es
Schulen geben und Bibliotheken – vielleicht konnte sie sogar
ihren Beitrag dazu leisten, das alles aufzubauen. Howard schien ein
kulturinteressierter Mann zu sein; bestimmt würde er sie
unterstützen. Und überhaupt: Sie musste nicht das Land
lieben, sondern ihren Gatten. Entschlossen schluckte sie ihre
Enttäuschung herunter und wandte sich den Mädchen zu.
»Auf geht’s, Kinder. Ihr hattet eure Erfrischung,
jetzt müssen wir weiter.Aber bergab ist es nicht mehr so
schlimm. Und immerhin können wir das Ziel jetzt schon sehen.
Kommt, die Kleinen machen einen Wettlauf! Wer zuerst am nächsten
Gasthof ist, bekommt eine Extra-Limonade!«
Der nächste Gasthof war nicht weit. Schon in den Ausläufern
der Berge fanden sich die ersten Häuser. Der Weg wurde nun auch
breiter, und die Reiter konnten die Fußgänger überholen.
Cleo trieb die Schafherde gekonnt an den Siedlern vorbei, und Gwyn
folgte auf der noch immer tänzelnden Igraine. Vorhin, auf den
wirklich gefährlichen Pfaden, hatten die Cobs sich allerdings
vorbildlich ruhig verhalten. Auch der kleine Madoc kletterte
geschickt über die steinigen Wege, und Gerald hatte sich bald
sicherer gefühlt. Er war inzwischen entschlossen, die
unerfreuliche Episode mit Gwyneira zu vergessen. Gut, das Mädchen
hatte seinen Willen durchgesetzt, aber das durfte nicht wieder
vorkommen. Der Wildheit dieser kleinen walisischen Prinzessin mussten
Zügel angelegt werden. Was das anging, war Gerald jedoch
optimistisch: Lucas würde von seiner Ehefrau ein untadeliges
Verhalten fordern, und Gwyneira war für das Leben an der Seite
eines Gentlemans erzogen. Jagdreiten und Hundedressur mochten ihr
besser gefallen, doch auf Dauer würde sie sich in ihr Schicksal
fügen.
Die Reisenden erreichten den Fluss Avon im Licht des ausgehenden
Tages, und die Reiter wurden sofort übergesetzt. Es war auch
noch Zeit genug, die Schafe auf die Fähre zu verladen, bevor die
Fußgänger eintrafen, sodass Helens Begleiter nur über
die mit Schafdung verschmutzte Fähre schimpfen konnten, nicht
über Verzögerungen.
Die Londoner Mädchen schauten verzückt in das glasklare
Wasser des Flusses, kannten sie bislang doch nur die verschmutzte,
stinkende Themse. Helen war inzwischen alles egal; sie sehnte sich
nur noch nach einem Bett. Hoffentlich würde der Reverend sie
wenigstens gastfreundlich aufnehmen. Er musste etwas für die
Mädchen vorbereitet haben; es war unmöglich, dass er sie
heute schon auf die Häuser ihrer Herrschaft verteilte.
Erschöpft fragte Helen vor dem Hotel und dem Mietstall nach
dem Weg zum Pfarrhaus. Dabei sah sie Gwyneira und Mr. Warden, die
eben aus den Ställen kamen. Sie hatten die Tiere gut
untergebracht, und jetzt erwartete sie ein festliches Dinner. Helen
beneidete ihre Freundin glühend. Wie gern hätte sie sich
zunächst in einem sauberen Hotelzimmer frisch gemacht und dann
an einen gedeckten Tisch gesetzt! Aber vor ihr lagen noch der Marsch
durch die Straßen von Christchurch und dann die Verhandlungen
mit dem Pfarrer. Die Mädchen hinter ihr murrten, und die Kleinen
weinten vor Müdigkeit.
Nun war der Weg zur Kirche zum Glück nicht lang; bisher gab
es in ganz Christchurch keine weiten Wege. Helen brauchte ihre
Mädchen nur um drei Straßenecken zu führen, dann
standen sie vor dem Pfarrhaus. Verglichen mit Helens Vaterhaus und
dem
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