Im Land der weissen Rose
Unvermeidliche.
»Ihr habt es gehört, Mädchen. Heute Nacht werdet
ihr hier schlafen«, wies sie die Kinder an. »Breitet eure
Betttücher aus – schön sorgfältig, sonst sind
eure Kleider nachher voller Heu. Wasser zum Waschen gibt es sicher in
der Küche. Ich sorge dafür, dass es euch zur Verfügung
gestellt wird. Und ich komme später nachsehen, ob ihr euch wie
ordentliche Christenmädchen auf die Nacht vorbereitet! Erst
waschen, dann beten!« Helen wollte streng klingen, doch so ganz
schaffte sie das heute nicht.Auch sie selbst hätte keine Lust
gehabt, sich in diesem Stall halb zu entkleiden und mit kaltem Wasser
zu waschen. Dementsprechend würde ihre heutige Kontrolle nicht
allzu streng ausfallen. Die Mädchen schienen die Anweisungen
auch nicht übermäßig ernst zu nehmen. Statt sie mit
einem braven »Ja, Miss Helen« zu quittieren, bestürmten
sie ihre Lehrerin mit weiteren Fragen.
»Kriegen wir nichts zu essen, Miss Helen?«
»Ich kann nicht auf dem Stroh schlafen, Miss Helen, da ekle
ich mich!«
»Bestimmt gibt’s hier Flöhe!«
»Können wir nicht mit Ihnen kommen, Miss Helen? Und was
ist das mit diesen Leuten, die vielleicht noch kommen? Wollen die uns
holen, Miss Helen?«
Helen seufzte. Sie hatte während der ganzen Reise versucht,
die Mädchen auf die bevorstehende Trennung am Tag nach der
Ankunft vorzubereiten. Aber die Gruppe heute noch auseinander zu
reißen, hielt sie nicht für klug. Zugleich wollte sie Mrs.
Baldwin nicht noch mehr gegen sich und die Mädchen aufbringen.
Also antwortete sie ausweichend.
»Richtet euch erst mal ein, und ruht euch aus, Mädchen.Alles
andere wird sich finden, macht euch keine Sorgen.« Tröstend
streichelte sie über Lauries und Marys blonden Schopf. Die
Kinder waren sichtlich am Ende ihrer Kräfte. Dorothy richtete
eben das Bett für Rosemary, die fast schon schlief. Helen nickte
ihr anerkennend zu.
»Ich sehe nachher noch mal nach euch«, erklärte
sie. »Versprochen!«
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»Die Mädchen machen einen ziemlich verwöhnten
Eindruck«, bemerkte Mrs. Baldwin mit verkniffener Miene. »Ich
hoffe, sie werden ihren künftigen Dienstherren wirklich nützlich
sein.«
»Es sind Kinder!«, seufzte Helen. Hatte sie dieses
Gespräch nicht schon mit Mrs. Greenwood vom Londoner
Waisenhauskomitee geführt? »Im Grunde sind erst zwei von
ihnen alt genug, um eine Stelle antreten zu können.Aber alle
sind brav und anstellig. Ich denke, es wird sich keiner beschweren.«
Mrs. Baldwin schien damit vorerst zufrieden. Sie führte Helen
in ihr Gästezimmer, und zum ersten Mal an diesem Tag war die
junge Frau angenehm überrascht. Das Zimmer war hell und sauber,
mit Blümchentapeten und Gardinen im Landhausstil einladend
eingerichtet, und das Bett war breit und bequem. Helen atmete auf.
Sie war hier zwar in ländlicher Gegend gestrandet, aber doch
nicht fern jeder Zivilisation. Dazu erschien eben das dickliche
Mädchen und brachte eine große Kanne warmes Wasser, das
sie in Helens Waschgeschirr ausleerte.
»Machen Sie sich zunächst ein wenig frisch, Miss
Davenport«, meinte Mrs. Baldwin. »Danach erwarten wir Sie
zum Dinner.Es gibt nichts Besonderes, wir waren ja nicht auf Gäste
vorbereitet.Aber wenn Sie Huhn und Kartoffelbrei mögen ...«
Helen lächelte. »Ich bin so hungrig, dass ich das Huhn
und die Erdäpfel roh verspeisen würde. Und die Mädchen
...«
Mrs. Baldwin schien nahe daran, die Geduld zu verlieren. »Für
die Mädchen wird gesorgt!«, erklärte sie abweisend.
»Ich sehe Sie dann gleich, Miss Davenport.«
Helen nahm sich Zeit, sich ausgiebig zu waschen, ihr Haar zu lösen
und neu aufzustecken. Sie überlegte, ob es lohnte, sich
umzuziehen. Helen besaß nur wenige Kleider, von denen zwei
obendrein schmutzig waren. Ihre beste Garderobe hätte sie sich
eigentlich gern für die Begegnung mit Howard
aufgespart.Andererseits konnte sie auch nicht so abgerissen und
verschwitzt, wie sie sich heute fühlte, zum Dinner bei den
Baldwins erscheinen. Schließlich entschied sie sich für
das dunkelblaue Seidenkleid.Am ersten Abend in ihrem neuen Heimatland
war etwas Festliches durchaus angesagt.
Das Essen wurde bereits aufgetragen, als Helen schließlich
das Speisezimmer der Baldwins betrat.Auch hier übertraf die
Einrichtung ihre Erwartungen. Buffet,
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