Im Land der weissen Rose
Tisch und Stühle waren aus
schwerem Teakholz und mit kunstvollen Schnitzereien versehen.
Entweder hatten die Baldwins die Möbel aus England mitgebracht,
oder Christchurch hatte exzellente Kunsttischler aufzuweisen.
Letzterer Gedanke tröstete Helen. Sie würde sich notfalls
an ein Holzhaus gewöhnen können, wenn es innen nur wohnlich
gestaltet war.
Jetzt bereitete ihr die Verspätung leichtes Unbehagen, doch
abgesehen von Baldwins ohnehin ziemlich verzogener Tochter standen
alle sofort auf, um sie willkommen zu heißen.Außer Mrs.
Baldwin und Belinda gehörten noch der Reverend sowie ein junger
Vikar zur Tischgemeinschaft. Reverend Baldwin war ein großer,
hagerer Mann, der äußerst streng wirkte. Er war förmlich
gekleidet – sein dreiteiliger, dunkelbrauner Tuchanzug schien
fast zu edel für die häusliche Tafel –,und er
lächelte nicht, als er Helen die Hand reichte. Stattdessen
schien er sie prüfend zu mustern.
»Sie sind die Tochter eines Amtsbruders?«, erkundigte
er sich mit sonorer Stimme, die sicher einen Kirchenraum zu füllen
vermochte.
Helen nickte und erzählte von Liverpool. »Ich weiß,
dass die Umstände meines Besuchs in Ihrem Haus ein wenig
ungewöhnlich sind«, gab sie errötend zu. »Aber
wir alle folgen den Wegen des Herrn, und der weist uns nicht immer
die ausgetretenen Pfade.«
Reverend Baldwin nickte. »Das ist wohl wahr, Miss
Davenport«, erklärte er gewichtig. »Wer wüsste
das besser als wir.Auch ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet,
dass meine Kirche mich ans Ende der Welt versetzt.Aber dies ist ein
vielversprechender Ort. Mit Gottes Hilfe werden wir ihn zu einer
christlich geprägten, lebendigen Stadt formen. Sie wissen
wahrscheinlich, dass Christchurch Bischofssitz werden soll ...«
Helen nickte eifrig. Sie ahnte zudem, warum Reverend Baldwin sich
dem Ruf nach Neuseeland nicht widersetzt hatte, obwohl er sich nicht
so anhörte, als habe er England bereitwillig den Rücken
gekehrt. Der Mann schien Ehrgeiz zu haben – wenn auch nicht die
Beziehungen, die man in England zweifellos brauchte, um die Stelle
eines Bischofs zu erhalten.Hier dagegen ... Baldwin machte sich
unzweifelhaft Hoffnungen. Ob er als Seelsorger ebenso viel taugte wie
als kluger Stratege der Kirchenpolitik?
Der junge Vikar an Baldwins Seite war Helen jedenfalls deutlich
sympathischer. Er lächelte ihr offen zu, als Baldwin ihn als
William Chester vorstellte, und sein Händedruck war warm und
freundlich. Chester war von zierlicher Gestalt, dünn und blass,
mit einem knochigen Allerweltsgesicht, entschieden zu langer Nase und
zu breitem Mund.Aber das alles wurde durch lebhafte, kluge braune
Augen wettgemacht.
»Mr. O’Keefe hat mir von Ihnen vorgeschwärmt!«,
erklärte er eifrig, nachdem er an Helens Seite Platz genommen
hatte und ihr freigebig Kartoffelbrei und Hühnchen auf den
Teller schaufelte. »Er war so glücklich über Ihren
Brief... ich wette, er wird gleich in den nächsten Tagen hier
sein, sobald er von der Ankunft der Dublin hört. Er hofft ja auf
weitere Post. Und wie überrascht er sein wird, Sie gleich hier
vorzufinden!« Vikar Chester wirkte so begeistert, als hätte
er das junge Paar höchstselbst zusammengeführt.
»In den nächsten Tagen?«, fragte Helen verblüfft.
Sie hatte fest damit gerechnet, Howard morgen kennen zu lernen. Es
konnte doch kein Problem sein, eben einen Boten zu seinem Haus zu
schicken.
»Nun ja, so schnell verbreiten die Neuigkeiten sich nicht
bis nach Haldon«, meinte Chester. »Mit einer Woche
Wartezeit müssen Sie schon rechnen.Aber es kann auch schneller
gehen! Ist Gerald Warden heute nicht mit der Dublin eingetroffen?
Sein Sohn erwähnte, er sei unterwegs. Wenn der wieder da ist,
spricht sich das schnell herum. Machen Sie sich keine Gedanken!«
»Und bis Ihr Verlobter eintrifft, sind Sie hier herzlich
willkommen!«, versicherte Mrs. Baldwin, auch wenn ihr Gesicht
alles andere als Herzlichkeit ausdrückte.
Helen fühlte sich trotzdem unsicher. War Haldon denn kein
Vorort von Christchurch? Wie weit würde ihre Reise sie wohl noch
führen?
Sie wollte eben fragen, als die Tür aufgerissen wurde. Ohne
um Einlass zu bitten oder gar zu grüßen, stürmten
Daphne und Rosemary herein. Beide hatten das Haar schon zum Schlafen
gelöst, und in Rosies braunen Locken hafteten Heuhalme.
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