Im Land der weissen Rose
gar nicht zu merken, wie unschicklich es wirkte,
dass dabei der Rock ihres Reitkleides hoch rutschte und ihre
Fußgelenke enthüllte. Gwyneira versuchte, den Rock tiefer
zu ziehen, vergaß die Sache dann aber. Sie hatte genug mit
Igraine zu tun, die am liebsten die Maultiere überholt und den
Pass im Galopp bewältigt hätte. Die Hunde dagegen brauchten
keine Aufsicht. Cleo wusste, worum es ging, und trieb die Schafherde
auch dann noch gekonnt über den Pfad, als der Weg sich verengte.
Die jungen Hunde folgten ihr dabei wie die Orgelpfeifen und regten
Mrs. Brewster sogar zu einem Scherz an: »Sieht ein bisschen so
aus wie Miss Davenport und ihre Waisenmädchen.«
Helen war am Ende ihrer Kräfte, als sie zwei Stunden nach dem
Aufbruch Hufschlag hinter sich hörte. Noch immer führte der
Weg bergauf, und nach wie vorgab es nichts als öde, unwirtliche
Berglandschaft. Immerhin sprach ihnen einer der anderen Auswanderer
Mut zu. Er war einige Jahre zur See gefahren und dabei 1836 mit einer
der ersten Expeditionen in dieser Gegend gewesen. In der Gruppe um
Captain Rhodes, einem der ersten Siedler, hatte er die Port Hills
erklettert und sich so sehr in den Anblick der Canterbury Ebene
verliebt,dass er jetzt mit Frau und Kindern zurückgekommen
war,um sich hier niederzulassen. Nun kündigte er seiner
erschöpften Familie das Ende des Aufstiegs an. Nur noch einige
wenige Wegbiegungen, dann würden sie die Bergkuppe erreichen.
Doch der Weg dorthin war nach wie vor eng und steil, und die
Maultierführer konnten die Wanderer nicht überholen.
Murrend reihten sie sich hinter ihnen ein. Helen fragte sich, ob
Gwyneira unter den Reitern war. Sie hatte die Meinungsverschiedenheit
zwischen ihr und Gerald mitbekommen und war gespannt, wer den Disput
für sich entschieden hatte. Ihre feine Nase sagte ihr aber bald,
dass Gwyneira sich durchgesetzt haben musste. Es roch deutlich nach
Schaf, und als es jetzt langsamer vorwärts ging, hörte man
von hinten auch protestierendes Blöken.
Und dann war die höchste Stelle des Passes endlich
erreicht.Auf einer Art Plattform wurden die Wanderer von Händlern
erwartet, die Stände mit Erfrischungen aufgebaut hatten. Hier
rastete man wohl traditionell – schon um den ersten Ausblick
auf die neue Heimat in Ruhe zu genießen. Doch Helen hatte
vorerst noch keinen Sinn dafür. Sie schleppte sich nur zu einem
der Stände und nahm einen großen Humpen Ingwerbier
entgegen. Erst als sie getrunken hatte, begab sie sich zum
Aussichtspunkt, an dem viele andere bereits andächtig
verharrten.
»Ist das schön!«, flüsterte Gwyneira
hingerissen. Sie saß noch auf ihrem Pferd und konnte somit über
die anderen Einwanderer hinwegsehen. Für Helen dagegen bot sich
nur eingeschränkte Sicht aus der dritten Reihe. Die reichte
allerdings, um ihrer Begeisterung einen gewaltigen Dämpfer
aufzusetzen.Weit unter ihnen wich die Berglandschaft zartgrünem
Grasland, durch das sich ein kleiner Fluss wand.Auf dem
gegenüberliegenden Ufer lag die Siedlung Christchurch –
doch sie war alles andere als die blühende Stadt, die Helen
erwartet hatte. Zwar erkannte man tatsächlich einen kleinen
Kirchturm, aber war nicht von einer Kathedrale die Rede gewesen?
Sollte der Ort nicht Bischofssitz werden? Helen hatte zumindest mit
einer Baustelle gerechnet, aber vorerst war nichts davon zu sehen.
Christchurch war nicht mehr als eine Ansammlung von bunten Häusern,
meist aus Holz erbaut, nur wenige aus dem Sandstein, von dem Mr.
Warden gesprochen hatte. Es erinnerte sehr an Lyttelton, die kleine
Hafenstadt, die sie eben hinter sich gelassen hatten. Und
wahrscheinlich bot es auch kaum mehr an gesellschaftlichem Leben und
Komfort.
Gwyneira schenkte dem Ort dagegen kaum einen zweiten Blick. Der
war winzig, ja, aber das war sie von den Dörfern in Wales
gewöhnt. Was sie faszinierte, war eher das Hinterland: Schier
endloses Grasland lag in der Spätnachmittagssonne, und hinter
den Ebenen erhoben sich majestätische, teilweise schneebedeckte
Berge. Sie waren sicher Meilen und Meilen entfernt, aber die Luft war
so klar, dass es aussah, als könne man sie berühren. Ein
paar Kinder streckten sogar die Hände danach aus.
Der Anblick erinnerte an die Landschaft in Wales oder in einigen
anderen Teilen Englands, wo Weideland an Hügellandschaften
grenzte; deshalb erschien Gwyneira und vielen anderen Siedlern die
Gegend vage
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