Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
Bücher bestellte, um der Kleinen vorzulesen. Mrs. Candler fand auch immer wieder körperliche Ähnlichkeiten mit Lucas, was Gwyn nicht nachvollziehen konnte. In ihren Augen hatte Fleurette praktisch nichts mit Lucas gemeinsam. Das Mädchen war grazil und rothaarig wie Gwyn, doch das ursprüngliche Blau ihrer Iris war nach einigen Monaten einem hellen Braun mit bernsteinfarbenen Einsprengseln gewichen. In ihrer Art waren Fleurs Augen genauso faszinierend wie Gwyneiras. Der Bernstein darin schien zu funkeln, wenn sie in Erregung geriet und konnte regelrecht auflodern, wenn die Kleine wütend wurde. Und das geschah schnell, wie selbst ihre verliebte Mutter zugeben musste. Fleurette war kein ruhiges, leicht zufrieden zu stellendes Kind wie Ruben. Sie war quirlig, stellte hohe Ansprüche und geriet in Zorn, wenn ihr etwas nicht gleich gelang. Dann schimpfte sie wie ein Rohrspatz und lief rot an, und im Extremfall spuckte sie. Die fast vierjährige Fleurette Warden war ganz entschieden keine Lady.
    Nichtsdestotrotz hatte sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater. Lucas war hingerissen von ihrem Temperament und gab ihren Launen viel zu oft nach. Erzieherische Bestrebungen zeigte er kaum; er schien Fleur eher in den Bereich »hochinteressantes Forschungsobjekt« einzuordnen. Mit dem Ergebnis, dass Kiward Station nun zwei Bewohner hatte, die leidenschaftlich Wetas sammelten, zeichneten und beobachteten. Fleur war dabei allerdings eher daran interessiert, wie weit die Viecher sprangen, und fand es auch eine gute Idee, sie bunt anzumalen. Gwyneira entwickelte ein ausgesprochenes Geschick darin, die Rieseninsekten in Weckgläsern wieder einzusammeln.
    Jetzt aber fragte sie sich, wie sie dem Kind klar machen sollte, dass der versprochene Ausritt nicht stattfand.
    »Ja, wieder ein Gast!«, brummte Gerald. »Wenn Mylady gestatten. Ein Kaufmann aus London. Hat die Nacht bei den Beasleys verbracht und wird gegen Abend hier eintreffen. Reginald Beasley war so freundlich, einen Boten zu schicken. Also können wir den Herrn angemessen empfangen. Natürlich nur, wenn es Mylady genehm ist!«
    Gerald erhob sich schwankend. Es war noch nicht ganz Mittag, aber er schien seit gestern Abend gar nicht erst nüchtern geworden zu sein. Und je mehr er trank, desto bösartiger wurden seine Bemerkungen gegenüber Gwyneira. In den letzten Monaten war sie zu seinem bevorzugten Spottobjekt geworden – was zweifellos daran lag, dass Winter gewesen war. Im Winter sah Gerald seinem Sohn eher nach, dass dieser sich im Studierzimmer verkroch, statt sich um die Farm zu kümmern, und er traf öfter auf Gwyneira, die das Regenwetter im Haus hielt. Im Sommer, wenn wieder die Schafschur, das Ablammen und andere Arbeiten auf der Farm anstanden, würde Gerald sich erneut auf Lucas konzentrieren, während Gwyneira offiziell ausgedehnte Ausritte unternahm – und in Wirklichkeit zu Helen floh. Gwyneira und Lucas kannten diesen Zyklus schon aus den letzten Jahren, aber dadurch wurde es nicht einfacher. Im Grunde gab es nur eine Möglichkeit, den Kreis zu unterbrechen. Gwyneira musste Gerald endlich den gewünschten Erben schenken. Doch Lucas’ Energien in dieser Hinsicht schienen mit den Jahren eher nachzulassen. Gwyneira erregte ihn einfach nicht; an die Zeugung eines weiteren Kindes war nicht zu denken. Und Lucas’ zunehmende Unfähigkeit zum ehelichen Beischlaf machte es unmöglich, die Täuschung bei Fleurs Zeugung zu wiederholen. Gwyneira machte sich hier auch keinerlei Illusionen. Noch einmal würde James McKenzie einer entsprechenden Vereinbarung nicht zustimmen. Und noch einmal würde sie es auch nicht schaffen, sich anschließend von ihm zu trennen. Nach Fleurettes Geburt hatte es Monate gedauert, bis Gwyneira nicht mehr von dem Schmerz des Verlangens und der Verzweiflung erfasst wurde, der sie jedes Mal lähmte, wenn sie James sah oder gar berührte. Letzteres ließ sich nicht immer vermeiden – es hätte seltsam ausgesehen, hätte James ihr plötzlich nicht mehr die Hand hingehalten, um ihr auf den Wagen zu helfen, oder hätte er ihr nicht mehr den Sattel abgenommen, nachdem sie Igraine in den Stall geführt hatte. Berührten sich dabei ihre Finger, war es wie eine Explosion aus Liebe und Erkennen, gelöscht durch das ständige »Nie wieder, nie wieder«, das Gwyneiras Kopf fast bersten ließ. Irgendwann wurde es Gott sei Dank besser. Gwyn lernte, sich zu kontrollieren, und die Erinnerungen verblassten. Aber das Ganze noch einmal zu tun war undenkbar.

Weitere Kostenlose Bücher