Im Land Der Weissen Wolke
und warum? War es ihr peinlich, wie sie lebte? Würde sie sich über diesen Besuch aus Übersee womöglich gar nicht freuen? Aber er musste sie treffen! Zum Teufel, er war 18.000 Meilen gereist, um sie zu sehen!
Peter Brewster erwies sich als umgänglich und lud George gleich für den nächsten Tag zum Lunch ein. Das zwang ihn zwar, seine Pläne noch einmal zu verschieben, erschien ihm aber unumgänglich. Tatsächlich verlief das Treffen dann sehr harmonisch. Brewsters bildschöne Frau servierte ein Essen nach Maori-Tradition mit frischem Fisch aus dem Avon und raffiniert zubereiteten Süßkartoffeln. Seine Kinder bestürmten den Besucher mit Fragen nach Good Old England, und natürlich kannte Peter sowohl die Wardens als auch die O’Keefes.
»Sprechen Sie da aber bloß nicht den einen auf den anderen an!«, warnte er lachend. »Die sind wie Hund und Katze, und dabei waren sie mal Partner. Kiward Station hat ihnen gemeinsam gehört, deshalb der aus ›Kee‹ und ›Ward‹ zusammengesetzte Name. Aber sie waren beide auch Spieler, und Howard hat seinen Anteil verloren. Genaueres weiß man da nicht, aber sie nehmen sich die Sache nach wie vor gegenseitig übel.«
»Verständlich von Seiten O’Keefes«, bemerkte George. »Aber der Sieger sollte sich doch nicht grämen!«
»Wie gesagt, ich weiß nichts Genaues. Und am Ende hat es bei Howard ja auch noch für eine Farm gereicht. Aber ihm fehlt das Know-how. Dieses Jahr hat er praktisch alle Lämmer verloren – zu früh aufgetrieben, vor den letzten Stürmen. Es erfrieren immer ein paar im Hochland, wenn es doch noch mal zu einem Wintereinbruch kommt. Aber ein Auftrieb Anfang Oktober ...? Das heißt Gott versuchen!«
George rief sich ins Gedächtnis, dass der Oktober hier dem März entsprach, und da war es auch im Walisischen Hochland noch empfindlich kalt.
»Warum macht er denn so was?«, fragte er verständnislos. Wobei ihn eher die Frage umtrieb, warum Helen ihrem Gatten solchen Unsinn durchgehen ließ. Sie hatte sich zwar nie für Landwirtschaft interessiert, aber wenn ihr wirtschaftliches Überleben davon abhing, hätte sie sich darum gekümmert.
»Ach, das ist ein Teufelskreis«, seufzte Brewster und bot Zigarren an. »Die Farm ist zu klein oder das Land zu dürftig für den großen Tierbestand. Aber ein kleinerer Bestand an Tieren bringt nicht genug zum Leben ein, also wird auf gut Glück vergrößert. In guten Jahren reicht das Gras, in schlechten geht das Winterfutter aus. Dann muss man zukaufen – und dazu langt das Geld dann wieder nicht. Oder man treibt die Tiere ins Hochland und hofft, dass es nicht mehr schneit. Aber lassen Sie uns von etwas Erfreulicherem reden. Sie hätten Interesse an der Übernahme meiner Kunden. Sehr schön, ich werde Sie gern mit allen bekannt machen. Über eine Ablösesumme werden wir uns sicher einig. Wären Sie unter Umständen auch an unserem Kontor interessiert? Büros und Lagerhäuser in Christchurch und Lyttelton? Ich könnte Ihnen die Häuser vermieten und Vorkaufsrecht garantieren ... Oder wir werden Partner, und ich behalte einen Teil des Geschäfts als stiller Teilhaber. Das würde mich absichern, falls der Goldrausch schnell verebbt.«
Die Männer verbrachten den Nachmittag mit der Besichtigung der Liegenschaften, und George war sehr angetan von Brewsters Unternehmung. Schließlich einigten sie sich darauf, nach Georges Ausflug in die Canterbury Plains über die genaueren Bedingungen der Übernahme zu verhandeln. George verließ seinen Geschäftspartner gut gelaunt und schrieb gleich einen Brief an seinen Vater. So schnell und unproblematisch war Greenwood Enterprises noch nie an eine Dependance in einem neuen Land gekommen. Jetzt stellte sich nur noch die Frage nach einem fähigen Verwalter. Brewster selbst wäre ideal gewesen, aber der wollte ja weg ...
George schob diese Überlegung vorerst beiseite. Morgen konnte er nun unbesorgt nach Haldon aufbrechen. Er würde Helen wiedersehen.
»Schon wieder Besuch?«, fragte Gwyneira unwillig. Sie hatte eigentlich vorgehabt, diesen wunderschönen Frühlingstag für einen Besuch bei Helen zu nutzen. Fleurette quengelte seit Tagen, sie wolle mir Ruben spielen; außerdem ging Mutter und Kind der Lesestoff aus. Fleurette war verrückt nach Geschichten. Sie liebte es, wenn Helen ihr vorlas, und machte auch selbst schon erste Versuche, Buchstaben nachzuzeichnen, wenn sie Helens Schulstunden beiwohnte.
»Ganz der Vater!«, sagten die Leute in Haldon, wenn Gwyneira wieder
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