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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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vor, »schuf Gott Himmel und Erde, rangi und papa .«
    Gwyneira lächelte George zu. »Helen kämpft mal wieder mit der Maori-Fassung der Schöpfungsgeschichte«, bemerkte sie. »Die ist zwar ziemlich eigenwillig, aber die Kinder formulieren sie jetzt immerhin so, dass Helen dabei nicht mehr rot wird.«
    Während vergnügt und freizügig von den liebeshungrigen Maori-Göttern erzählt wurde, spähte George durch das Buschwerk in die palmwedelgedeckten, offenen Hütten. Die Kinder saßen auf dem Boden und lauschten dem Vortrag des kleinen Mädchens, das die Geschehnisse des ersten Schöpfungstages vorlas. Dann kam das nächste Kind an die Reihe. Und nun sah George auch Helen. Sie saß an einem improvisierten Pult am Rande der Szenerie, aufrecht und schlank, ganz wie er sie in Erinnerung hatte. Ihr Kleid abgetragen, aber sauber und hochgeschlossen – zumindest von der Seite war sie ganz die korrekte, beherrschte Gouvernante, die er in Erinnerung hatte. Sein Herz klopfte wild, als sie jetzt einen anderen Schüler aufrief und George dabei ihr Gesicht zuwandte. Helen ... für George war sie immer noch schön, und das würde sie stets bleiben, egal, wie sie sich veränderte, und egal, um wie viel älter sie wirkte. Letzteres allerdings erschreckte ihn. Helen Davenport O’Keefe war in den letzten Jahren deutlich gealtert. Die Sonne, die ihren gepflegten weißen Teint gebräunt hatte, meinte es nicht gut mit ihr. Dazu wirkte ihr einst schmales Gesicht jetzt spitzer, beinahe verhärmt. Ihr Haar allerdings war nach wie vor leuchtend kastanienbraun. Sie trug es zu einem dicken, langen Zopf geflochten, der über ihren Rücken fiel. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst, und Helen strich sie achtlos aus dem Gesicht, während sie mit den Schülern scherzte – häufiger als damals mit William und ihm, wie George eifersüchtig feststellte. Überhaupt wirkte Helen weicher als früher, der Umgang mit den Maori-Kindern schien ihr Spaß zu machen. Und auch ihr kleiner Master Ruben tat ihr offensichtlich gut. Ruben und Fleurette schlichen sich eben an. Sie kamen zu spät zum Unterricht, hofften aber, dass Helen es nicht merkte. Das war natürlich vergebens. Helen unterbrach den Unterricht nach dem dritten Schöpfungstag.
    »Fleurette Warden. Schön, dich zu sehen. Aber meinst du nicht, dass eine Lady höflich Guten Tag sagt, wenn sie sich zu einer Versammlung gesellt? Und du, Ruben O’Keefe – ist dir schlecht, oder warum bist du so grün im Gesicht? Lauf rasch zum Brunnen, und wasch dich, damit du aussiehst wie ein Gentleman. Wo ist denn deine Mutter, Fleur? Oder bist du wieder mit Mr. McKenzie gekommen?«
    Fleur versuchte, gleichzeitig den Kopf zu schütteln und gewichtig zu nicken. »Mummy ist auf der Farm mit Mr. ... irgendwas mit Wood«, verriet sie dann. »Aber ich bin schnell hergelaufen, weil ich dachte, ihr lest die Geschichte weiter. Unsere Geschichte, nicht den dummen alten Quatsch mit rangi und papa .«
    Helen verdrehte die Augen. »Fleur, die Schöpfungsgeschichte kann man gar nicht oft genug hören! Und wir haben hier ein paar Kinder, die sie noch gar nicht kennen, jedenfalls nicht die christliche Version. Setz dich jetzt und hör zu. Mal sehen, was später kommt ...« Helen wollte das nächste Kind aufrufen, doch Fleur hatte ihre Mutter eben entdeckt.
    »Da sind Mummy und Mr. ...«
    Helen spähte durchs Buschwerk – und schien zu erstarren, als sie George Greenwood erkannte. Sie erblasste kurz, um dann zu erröten. War es Freude? Schrecken? Scham? George hoffte, dass die Freude überwog. Er lächelte.
    Helen schob fahrig ihre Bücher zusammen. »Rongo ...« Ihr Blick schweifte über die versammelte Kinderschar und blieb an einem älteren Mädchen hängen, das dem Unterricht bislang nicht sonderlich aufmerksam gefolgt war. Anscheinend gehörte es zu den Kindern, denen die Schöpfungsgeschichte nicht mehr fremd war. Das Mädchen hatte lieber in dem neuen Buch geschmökert, das auch Fleur so viel interessanter fand. »Rongo, ich muss euch ein paar Minuten allein lassen, ich habe einen Besucher. Würdest du den Unterricht übernehmen? Pass bitte auf, dass die Kinder richtig lesen, nicht irgendwas erzählen, und dass sie kein Wort auslassen.«
    Rongo Rongo nickte und stand auf. Im Vollgefühl ihrer Wichtigkeit als Hilfslehrerin ließ sie sich am Pult nieder und rief ein Mädchen auf.
    Während es sich stammelnd abmühte, die Geschichte des vierten Schöpfungstages vorzulesen, ging Helen zu Gwyn und George hinüber. Wie

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