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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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damals schon bewunderte George ihre Haltung. Jede andere Frau hätte jetzt noch rasch versucht, ihr Haar zu richten, das Kleid glatt zu ziehen oder was immer ihr eingefallen wäre, um sich ein bisschen herzurichten. Helen tat nichts dergleichen. Sie trat ruhig und aufrecht auf den Besucher zu und reichte ihm die Hand.
    »George Greenwood! Wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen!«
    George strahlte übers ganze Gesicht und sah plötzlich wieder so hoffnungsvoll und eifrig aus wie damals als Sechzehnjähriger.
    »Sie haben mich wiedererkannt, Miss Helen!«, sagte er erfreut. »Sie haben es nicht vergessen.«
    Helen errötete leicht. Sie registrierte durchaus, dass er »es« und nicht »mich«, sagte. Er spielte auf sein Versprechen von damals an, auf die dumme Verliebtheit des Jungen und seinen verzweifelten Versuch, sie am Aufbruch in ihr neues Leben zu hindern.
    »Wie könnte ich Sie vergessen, George?«, sagte sie freundlich. »Sie waren einer meiner vielversprechendsten Schüler. Und nun machen Sie also Ihren Wunsch wahr, die Welt zu bereisen.«
    »Nicht gleich die ganze Welt, Miss Helen ... oder muss ich Mrs. O’Keefe sagen?« George sah ihr mit der alten Frechheit in die Augen.
    Helen zuckte die Schultern. »Alle sagen ›Miss Helen‹.«
    »Mr. Greenwood ist hier, um eine Dependance seines Unternehmens in Christchurch aufzubauen«, erklärte Gwyneira. »Er wird den Wollhandel von Peter Brewster übernehmen, wenn die Brewsters nach Otago ziehen ...«
    Helen lächelte ein wenig gequält. Sie war nicht sicher, ob sich das als gut oder schlecht für Howard erweisen würde.
    »Das ... ist schön«, sagte sie zögernd. »Und jetzt sind Sie hier, um Ihre Kunden kennen zu lernen? Howard wird erst gegen Abend zurückkommen ...«
    George grinste sie an. »Ich bin vor allem hier, um Sie wiederzusehen, Miss Helen. Mr. Howard kann warten. Das habe ich Ihnen damals schon gesagt, aber Sie wollten ja nicht hören.«
    »George, du solltest ... also wirklich!« Die alte Gouvernantenstimme. George wartete auf ein »Du bist impertinent!«, doch Helen hielt sich zurück. Stattdessen schien sie zu erschrecken, weil sie ihn unwillkürlich geduzt hatte. George fragte sich, ob Gwyneiras Vorstellung etwas damit zu tun hatte. Fürchtete Helen sich vor dem neuen Wollaufkäufer? Grund dazu hätte sie, bei dem, was man so hörte ...
    »Wie geht es Ihrer Familie, George?«, versuchte Helen sich jetzt in Konversation. »Ich würde ja gern ausführlicher mit Ihnen plaudern, aber die Kinder sind drei Meilen weit gelaufen, um zum Unterricht zu kommen, und ich darf sie nicht enttäuschen. Haben Sie Zeit zu warten?«
    George nickte lächelnd. »Sie wissen, dass ich warten kann, Miss Helen.« Schon wieder eine Anspielung. »Und ich habe Ihren Unterricht immer genossen. Dürfte ich daran teilnehmen?«
    Helen schien sich zu entspannen. »Bildung hat noch keinem geschadet«, sagte sie. »Setzen Sie sich zu uns.«
    Die Maori-Kinder machten verwundert Platz, als George zwischen ihnen auf dem Boden Platz nahm. Helen erklärte ihnen auf Englisch und auf Maori, dass er ein früherer Schüler aus dem fernen England sei und damit wohl den weitesten Schulweg von allen hatte. Die Kinder lachten, und George fiel erneut auf, wie Helens Unterrichtston sich geändert hatte. Früher hatte sie viel seltener Späße gemacht.
    Die Kinder begrüßten den neuen Mitschüler in ihrer Sprache, und George lernte seine ersten paar Worte Maori. Nach der Stunde konnte er auch den ersten Abschnitt der Schöpfungsgeschichte lesen, wobei die Kinder ihn immer wieder lachend verbesserten. Später durften die älteren Schüler Fragen an ihn stellen, und George erzählte von seiner Schulzeit – erst mit Helen zu Hause in London, dann im College zu Oxford.
    »Was hat dir denn besser gefallen?«, fragte einer der ältesten Jungen vorwitzig. Helen nannte ihn Reti, und er sprach sehr gut Englisch.
    George lachte. »Der Unterricht bei Miss Helen natürlich. Wenn das Wetter schön war, haben wir draußen gesessen, genau wie hier. Und meine Mutter bestand darauf, dass Miss Helen mit uns Krocket spielte, aber sie konnte es nie, sie hat immer verloren.« Er zwinkerte Helen zu.
    Reti wirkte nicht überrascht. »Als sie hierher kam, konnte sie auch keine Kuh melken«, verriet er. »Was ist Krocket, Mr. George? Muss man das können, wenn man in Christchurch arbeiten möchte? Ich will nämlich bei den Engländern arbeiten und reich werden.«
    George registrierte diese Bemerkung aufmerksam. Er

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