Im Land Der Weissen Wolke
»Und auf Dauer sieht Warden alt aus, wenn um ihn herum plötzlich alle Farmer Rasseschafe haben.« Er hob das Glas, als wollte er George zuprosten.
George nickte ihm ernst zu. »Nun, Mr. Warden wird dadurch sicher nicht verarmen. Aber Sie und ich hätten bessere Geschäftschancen. Einverstanden?« Er hielt Helens Mann die Hand hin.
Helen sah vom Fenster aus, wie Howard einschlug. Sie hatte nicht mitbekommen, worum es ging, aber Howard hatte selten so zufrieden ausgesehen. Und George hatte den alten, pfiffigen Ausdruck im Gesicht und zwinkerte auch schon wieder in ihre Richtung. Gestern hatte sie sich deswegen Vorwürfe gemacht, aber heute war sie froh, dass sie ihn geküsst hatte.
George war sehr zufrieden mit sich, als er Kiward Station am nächsten Tag verließ und zurück nach Christchurch ritt. Nicht einmal das böse Gesicht dieses impertinenten Stallknechts McKenzie verdarb ihm die Laune. Der Kerl hatte es heute schlicht unterlassen, das Pferd für ihn zu satteln, nachdem es gestern, als George mit Gwyneira zu Helens Farm aufbrach, fast zu einem Eklat gekommen war. McKenzie hatte Gwyneiras Stute mit dem Seitsattel versehen herausgeführt, nachdem Gwyn ihn aufgefordert hatte, ihr die Stute für einen weiteren Ritt mit dem Besucher vorzubereiten. Mrs. Warden hatte daraufhin irgendetwas Böses zu ihm gesagt, und er hatte scharf geantwortet, wobei George nur das Wort »ladylike« heraushörte. Gwyneira ergriff daraufhin wütend die kleine Fleur, die McKenzie hinter sie auf Igraine heben wollte, und schwang sie vor George auf den Sattel seines Pferdes.
»Würden Sie Fleurette mitreiten lassen?«, fragte sie zuckersüß, wobei sie dem Viehtreiber einen fast triumphierenden Blick zuwarf. »Im Damensattel kann ich sie nicht um mich haben.«
McKenzie hatte George mit fast mörderischer Wut angestarrt, als er den Arm um die Kleine legte, damit sie sicherer saß. Irgendetwas war da zwischen ihm und der Herrin von Kiward Station ... aber Gwyneira konnte sich bestimmt wehren, falls sie sich belästigt fühlte. George beschloss, sich nicht einzumischen und vor allem nichts gegenüber Gerald oder Lucas Warden zu erwähnen. Das alles ging ihn nichts an – und vor allem brauchte er Gerald in denkbar bester Laune. Nach einem ausgiebigen Abschiedsessen und drei Whiskeys unterbreitete er ihm ein Angebot für eine Herde reinrassiger Welsh-Mountain-Schafe. Eine Stunde später war er um ein kleines Vermögen ärmer, doch Helens Farm würde demnächst von den besten Zuchttieren bevölkert sein, die Neuseeland zu bieten hatte. George musste nun nur noch ein paar andere kleinere Farmer finden, die Starthilfe benötigten, damit Howard nicht argwöhnisch wurde. Aber das war sicher nicht schwierig; Peter Brewster würde ihm die Namen nennen können.
Dieses neue Unternehmenssegment – denn als solches musste George sein Engagement in der Schafzucht seinem Vater gegenüber verkaufen – bedeutete allerdings, dass George seinen Aufenthalt auf der Südinsel verlängern musste. Die Schafe sollten verteilt und die an dem Projekt beteiligten Züchter überwacht werden. Nun war Letzteres nicht zwingend der Fall – Brewster würde ihm wahrscheinlich Partner empfehlen, die ihre Arbeit verstanden und unverschuldet in Not geraten waren. Wenn Helen jedoch auf Dauer geholfen werden sollte, brauchte Howard O’Keefe ständige Führung und Aufsicht, diplomatisch verpackt als Beratung und Hilfe gegen seinen Erzfeind Warden – schlichte Anweisungen würde O’Keefe vermutlich nicht befolgen. Erst recht nicht, wenn sie von einem angestellten Verwalter Greenwoods kamen. George musste also bleiben – und der Gedanke daran gefiel ihm immer besser, je länger er durch die klare Luft der Canterbury Plains ritt. Die vielen Stunden im Sattel gaben ihm Zeit zum Nachdenken, auch über seine Situation in England. Schon nach einem gemeinsamen Jahr in der Geschäftsleitung hatte William seinen Bruder zur Verzweiflung getrieben. Während sein Vater geflissentlich wegsah, erkannte George selbst bei seinen seltenen Aufenthalten in London die Fehler des Bruders und die zum Teil horrenden Verluste, mit der die Firma dadurch fertig werden musste. Georges Reisefreude war auch darauf zurückzuführen, dass er das alles nicht mit ansehen konnte, denn kaum setzte er einen Fuß auf englischen Boden, wandten sich auch schon Bürovorsteher und Verwalter besorgt an den Juniorchef: »Sie müssen etwas tun, Mr. George!« – »Ich habe Angst, dass man mich der Untreue
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