Im Land Der Weissen Wolke
sagte Kiri mitfühlend. »Mr. Lucas sicher nicht so gemeint. Männer betrunken, Wettergötter zornig, schlechter Tag gestern ...«
Gwyneira nickte und ließ sich ins Bad führen. Kiri ließ Wasser ein und wollte einen Blütenextrakt hineingeben, doch Gwyneira untersagte es ihr. Der betäubende Rosenduft von gestern Abend war ihr noch zu gegenwärtig.
»Ich bringen Frühstück in Zimmer, ja?«, fragte Kiri. »Frische Waffeln, hat gemacht Moana für sagen Entschuldigung zu Mr. Gerald. Aber Mr. Gerald noch nicht wach ...«
Gwyneira fragte sich, wie sie Gerald Warden jemals wieder unter die Augen treten sollte. Wenigstens fühlte sie sich etwas besser, nachdem sie sich mehrere Male nacheinander eingeseift und Geralds Schweiß und Gestank abgewaschen hatte. Sie war zwar noch immer wund, und jede Bewegung schmerzte, aber das würde vergehen. Die Demütigung jedoch würde sie ihr Leben lang spüren.
Schließlich hüllte sie sich in einen leichten Bademantel und verließ das Bad. Im Zimmer hatte Kiri die Fenster geöffnet, und die Fetzen ihres Kleides waren verschwunden. Die Welt draußen wirkte wie frisch gewaschen nach dem Gewitterregen. Die Luft war kühl und klar. Gwyneira atmete tief durch und versuchte, auch ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen. Ihr gestriges Erlebnis war schrecklich gewesen – aber nicht schlimmer als das, was vielen Frauen jede Nacht widerfuhr. Wenn sie sich Mühe gab, würde sie es vergessen können. Sie musste einfach so tun, als wäre nichts geschehen ...
Trotzdem fuhr sie zusammen, als sie die Tür hörte. Cleo knurrte. Sie spürte Gwyneiras Anspannung. Herein kamen jedoch nur Kiri und Fleurette. Das kleine Mädchen war missgelaunt, was Gwyn ihr nicht verdenken konnte. Gewöhnlich weckte sie das Kind selbst mit einem Kuss, und dann pflegten Lucas und Gwyn mit Fleur zu frühstücken. Diese »Familienstunde« ohne Gerald, der dann noch seinen Rausch ausschlief, war ihnen heilig, und alle schienen sie zu genießen. Gwyn war eigentlich davon ausgegangen, dass Lucas sich heute Morgen um Fleur gekümmert hatte, aber man hatte das Kind offensichtlich sich selbst überlassen. Entsprechend abenteuerlich war seine Bekleidung. Es trug ein Röckchen, das wie ein Poncho über ein falsch zugeknöpftes Kleid gezogen war.
»Daddy ist weg«, sagte die Kleine.
Gwyn schüttelte den Kopf. »Nein, Fleur. Daddy ist bestimmt nicht weg. Vielleicht ist er ausgeritten. Er ... wir ... wir haben uns gestern ein bisschen mit Großvater gestritten ...« Sie gab es ungern zu, doch Fleur war so oft Zeuge ihrer Auseinandersetzungen mit Gerald, dass es dem Kind nichts Neues sein konnte.
»Ja, kann sein, dass Daddy ausgeritten ist«, sagte Fleur. »Mit Flyer. Der ist nämlich auch weg, hat Mr. James gesagt. Aber warum reitet Daddy vor dem Frühstück aus?«
Gwyneira wunderte das ebenfalls. Bei einem Galopp durch den Busch den Kopf frei zu bekommen war eher ihre Art als die von Lucas. Er sattelte auch selten selbst. Die Leute witzelten darüber, dass er sich sein Pferd sogar im Rahmen der Farmarbeit von den Viehhütern vorführen ließ. Und warum nahm er das älteste Arbeitspferd? Lucas war kein begeisterter, aber ein guter Reiter. Der alte Flyer würde ihn langweilen; das Tier wurde nur noch gelegentlich von Fleur geritten. Aber vielleicht irrten Fleur und James sich ja auch, und Flyers und Lucas’ Verschwinden hatten gar nichts miteinander zu tun. Das Pferd konnte ausgebrochen sein. Das kam immer wieder vor.
»Daddy kommt bestimmt gleich zurück«, sagte Gwyneira. »Hast du schon im Atelier nachgesehen? Aber komm, iss erst mal eine Waffel.«
Kiri hatte den Frühstückstisch am Fenster gedeckt und schenkte Gwyneira Kaffee ein. Auch Fleur bekam einen Schuss Kaffee mit viel Milch.
»In seine Zimmer nicht ist, Miss«, wandte das Hausmädchen sich an Gwyneira. »Hat nachgesehen Witi. Bett nicht angerührt. Bestimmt irgendwo in Farm. Schämt sich wegen ...« Sie blickte Gwyneira vielsagend an.
Gwyneira hingegen machte sich Sorgen. Lucas hatte keinen Grund, sich zu schämen ... oder doch? Hatte Gerald ihn nicht genauso gedemütigt wie sie? Und sie selbst ... es war unverzeihlich, wie sie Lucas behandelt hatte.
»Wir gehen ihn gleich suchen, Fleur. Wir finden ihn schon.« Gwyn wusste nicht, ob sie damit sich oder das Kind beruhigen wollte.
Sie fanden Lucas nicht, weder im Haus noch auf der Farm. Und auch Flyer war nicht wieder aufgetaucht. Dafür berichtete James, dass ein uralter Sattel und ein mehrmals geflicktes
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