Im Land Der Weissen Wolke
erreicht, eine armselige Ansiedlung, die außer einem Ausschank und einem Schiffsanlegeplatz nicht viel zu bieten hatte. Immerhin fand sich im Pub ein trockenes Eckchen, auf dem Lucas sein Lager aufschlagen konnte. Zum ersten Mal nach Tagen war er wieder unter einem Dach. Die Decken waren noch klamm und schmutzig von den Übernachtungen unter freiem Himmel. Lucas hätte sich gern auch ein Bad gegönnt, aber darauf war man in Greymouth nicht eingerichtet. Lucas wunderte das nicht sehr. »Richtige Männer« schienen sich selten zu waschen. Statt Wasser flossen reichlich Bier und Whiskey, und nach einigen Gläsern hatte Lucas Copper von seinen Plänen erzählt. Er fasste Mut, als der Coaster nicht gleich abwinkte.
»Siehst ja nicht aus wie ein Walfänger!«, bemerkte er mit einem langen Blick in Lucas’ schmales Gesicht und seine sanften grauen Augen. »Aber auch nicht wie ’n Schwächling ...« Der Mann griff nach Lucas’ Oberarm und befühlte die Muskeln. »Also warum nicht. Wie man ’ne Harpune handhabt, haben auch schon andere gelernt.« Er lachte. Dann aber wurde sein Blick prüfend. »Aber schaffst du’s auch, drei oder vier Jahre allein zu sein? Wirst du die hübschen Mädchen in den Häfen nicht vermissen?«
Lucas hatte schon gehört, dass man sich heutzutage für zwei bis vier Jahre verpflichten musste, wenn man auf einem Walfänger anheuerte. Die goldenen Jahre des Walfangs, als man gleich vor der Küste der Südinsel mit Leichtigkeit auf Pottwale stieß – die Maoris jagten die Tiere sogar von ihren Kanus aus –, waren vorbei. Heute waren die Wale unmittelbar vor der Küste fast ausgerottet. Man musste weit aufs Meer fahren, um sie zu finden und war oft wochen-, wenn nicht jahrelang unterwegs. Darüber aber machte Lucas sich die wenigsten Gedanken. Die Männergesellschaft schien ihm sogar verlockend, wenn er nur nicht wieder außerhalb stünde wie auf Kiward Station als Sohn des Chefs. Er würde schon zurechtkommen – nein, er würde Respekt und Anerkennung gewinnen! Lucas war fest entschlossen, und Copper schien ihn auch nicht abzulehnen. Im Gegenteil, er betrachtete ihn fast mit Interesse, schlug ihm auf die Schulter, tätschelte mit den Pranken eines erfahrenen Schiffszimmermanns und Whalers seinen Arm. Lucas schämte sich etwas für seine gepflegten Hände, die wenigen Schwielen und die immer noch relativ sauberen Fingernägel. Auf Kiward Station hatten die Männer ihn mitunter damit aufgezogen, dass er sie regelmäßig reinigte, doch Copper machte keine Bemerkung darüber.
Schließlich war Lucas seinem neuen Freund aufs Schiff gefolgt, hatte sich dem Skipper vorstellen lassen und einen Kontrakt unterzeichnet, der ihn für drei Jahre an die Pretty Peg band, ein bauchiges, nicht allzu großes Segelschiff, das ebenso unverwüstlich schien wie sein Eigner. Der Skipper Robert Milford war eher klein, aber ein einziges Muskelpaket. Copper sprach mit großem Respekt von ihm und pries seine Fähigkeiten als Chef-Harpunier. Milford begrüßte Lucas mit kräftigem Händedruck, nannte ihm seinen Lohn – der ihm erschreckend niedrig erschien – und wies Copper an, ihm eine Koje zuzuweisen. Die Pretty Peg stand kurz vor dem Auslaufen. Lucas hatte nur noch zwei Tage, um sein Pferd zu verkaufen, seine Sachen an Bord des Fangschiffs zu bringen und die schmutzige Pritsche neben Copper zu beziehen. Das aber war ihm nur recht. Falls Gerald nach ihm suchen ließe, würde er längst auf See sein, ehe die Nachricht das abgelegene Greymouth erreichte.
Doch der Aufenthalt an Bord ernüchterte ihn schnell. Schon in der ersten Nacht ließen ihn die Flöhe unter Deck nicht schlafen; dazu kämpfte er mit der Seekrankheit. Lucas konnte noch so sehr versuchen, sich zusammenzunehmen – wenn das Schiff in den Wellen schlingerte, rebellierte sein Magen. Im dunklen Innenraum war das schlimmer als auf Deck, weshalb er schließlich sogar versuchte, die Nächte draußen zu verbringen. Die Kälte und Nässe – bei schwerer See wurde das Deck überspült – trieben ihn aber schnell zurück in die Unterkünfte. Wieder einmal lachten die Männer über ihn, aber diesmal machte es ihm nicht so viel aus, weil Copper offensichtlich auf seiner Seite stand.
»Ist halt ein feines Herrchen, unser Luke!«, bemerkte er gutmütig. »Muss sich erst gewöhnen. Aber wartet, bis er mit Tran getauft ist. Der wird richtig, glaubt mir!«
Copper besaß Ansehen bei der Crew. Er war nicht nur ein fähiger Schiffszimmermann, sondern galt auch als
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