Im Land Der Weissen Wolke
selbst schlummerte selig in den Armen seiner Kinderfrau. Gwyn hütete sich wohlweislich, ihn selbst zu präsentieren. Nach wie vor schrie er wie am Spieß, wenn sie ihn herumtrug, und nach wie vor reagierte sie mit Ärger und Ungeduld darauf. Sie sah ein, dass sie dieses Kind in der Familie willkommen heißen und seine Stellung festigen musste – doch tiefere Gefühle konnte sie nicht für den Jungen empfinden. Paul blieb ihr fremd, und schlimmer noch – jeder Blick in sein Gesicht erinnerte sie an Geralds Fratze der Lust in dieser unseligen Nacht seiner Zeugung. Als das Fest endlich überstanden war, flüchtete Gwyneira sich in den Stall und weinte hemmungslos in Igraines weiche Mähne, wie sie es schon als Kind getan hatte, wenn etwas hoffnungslos erschien. Gwyneira wünschte sich nur noch, das alles wäre nie passiert. Sie sehnte sich nach James, sogar nach Lucas. Nach wie vor hatte sie nichts von ihrem Mann gehört, und auch Geralds Nachforschungen blieben erfolglos. Das Land war einfach zu groß. Wer verschollen bleiben wollte, blieb verschollen.
8
»Schlag endlich zu, Luke! Einmal, mit Schwung, hinten auf die Rübe. Da merkt der gar nichts von!« Noch während Roger sprach, erledigte er einen weiteren Heuler – nach allen Regeln des Gewerbes der Seehundjagd: Das Tier starb, ohne dass sein Fell beschädigt wurde. Die Jäger töteten mit einem Knüppel, den sie dem Seehund an den Hinterkopf schlugen. Wenn überhaupt Blut floss, so aus der Nase der jungen Robbe. Danach machten sie sich gleich ans Abhäuten, ohne sich vorher die Mühe zu machen, den Tod des Tieres sicher festzustellen.
Lucas Warden hob den Knüppel, aber er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, ihn auf das Tierchen niedersausen zu lassen, das ihn mit riesigen Kinderaugen vertrauensvoll anblickte. Mal ganz abgesehen von dem Klagen der Seehundmütter um ihn herum. Die Männer waren nur hinter dem besonders weichen und wertvollen Fell der Jungtiere her. Sie wanderten über die Seehundbänke, auf denen die Robbenmütter ihre Kinder großzogen, und töteten die Heuler vor den Augen ihrer Mütter. Die Felsen der Tauranga Bay waren bereits rot von ihrem Blut – und Lucas musste dagegen ankämpfen, sich zu übergeben. Er konnte nicht begreifen, wie gefühllos die Männer vorgingen. Das Leiden der Tiere schien sie nicht im Mindesten zu interessieren; sie machten sogar noch Scherze darüber, wie friedlich und wehrlos die Robben ihre Jäger erwarteten. Lucas hatte sich der Gruppe vor drei Tagen angeschlossen, aber bisher noch kein Tier getötet. Zunächst schien es den Männern kaum aufzufallen, dass er nur beim Abhäuten half und die Felle auf Wagen und Traggestelle verstaute. Aber jetzt verlangten sie nachdrücklich, dass auch er sich am Schlachten beteiligte. Lucas war hoffnungslos übel. Machte das einen Mann aus? Was war am Töten wehrloser Tiere so viel ehrenhafter als am Malen und Schreiben? Doch Lucas wollte sich das alles nicht mehr fragen. Er war hier, um sich zu beweisen, entschlossen, genau die Arbeit zu tun, mit der sein Vater die Grundlagen seines Reichtums gelegt hatte. Ursprünglich hatte Lucas sogar auf einem Walfänger angeheuert, war aber schmählich gescheitert. Lucas gab es nicht gern zu, aber er war geflüchtet – und das, obwohl er den Vertrag bereits unterzeichnet und der Mann, der ihn angeheuert hatte, ihm durchaus gefallen hatte ...
Lucas hatte Copper, einen großen, dunkelhaarigen Mann mit dem kantigen, wettergegerbten Gesicht des typischen »Coasters«, in einem Pub bei Greymouth kennen gelernt. Gleich nach seiner Flucht aus Kiward Station, als er noch so von Wut und Hass auf Gerald erfüllt war, dass er kaum klar denken konnte. Damals war er überstürzt zur Westcoast aufgebrochen, diesem Eldorado für »harte Männer«, die sich stolz »Coaster« nannten und ihren Lebensunterhalt zunächst mit Wal-und Seehundjagd, neuerdings auch mit der Suche nach Gold verdienten. Lucas hatte es allen zeigen wollen – sein eigenes Geld verdienen, sich als »richtiger Mann« beweisen, um dann irgendwann ruhmreich heimzukehren, beladen mit ... ja, was? Gold? Dann hätte er sich eher mit Schaufel und Waschpfanne ausrüsten und in die Berge reiten sollen, statt auf einem Walfänger anzuheuern. Aber so weit hatte Lucas erst gar nicht gedacht. Er wollte nur weg, weit weg, möglichst auf See – und er wollte seinen Vater mit dessen eigenen Waffen schlagen. Dabei hatte er dann, nach abenteuerlichem Ritt durch die Berge, Greymouth
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