Im Land Der Weissen Wolke
erstklassiger Jäger.
Seine Freundschaft tat Lucas gut, und auch die verstohlenen Berührungen, die Copper mitunter zu suchen schien, waren nicht unangenehm. Vielleicht hätte Lucas sie sogar genossen, wären die hygienischen Bedingungen auf der Pretty Peg nicht derart abschreckend gewesen. Es gab nur wenig Trinkwasser, und niemand dachte daran, es zum Waschen zu verschwenden. Die Männer rasierten sich auch kaum, und Wäsche zum Wechseln besaßen sie nicht. Nach wenigen Nächten stanken die Walfänger und ihre Unterkünfte schlimmer als die Schafställe auf Kiward Station. Lucas selbst versuchte, sich mit Meerwasser notdürftig zu reinigen, aber das war schwierig und führte wieder zu Heiterkeitsausbrüchen der restlichen Mannschaft. Lucas fühlte sich schmutzig, sein Körper war mit Flohstichen übersät, und er schämte sich für diesen Zustand. Dabei war das gar nicht nötig: Die anderen Männer schienen ihre gegenseitige Gesellschaft zu genießen und den Gestank ihrer ungewaschenen Körper kaum wahrzunehmen. Lucas war der Einzige, der sich daran störte.
Da sich wenig zu tun fand – das Schiff hätte mit einer viel kleineren Mannschaft segeln können; Arbeit für alle gab es erst, wenn die Jagd begann –, verbrachten sie viel Zeit im geselligen Miteinander. Sie erzählten Geschichten, wobei sie hemmungslos aufschnitten, sangen zotige Lieder und vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen. Lucas hatte Poker und Black Jack bislang stets als unfein abgelehnt, aber immerhin kannte er die Regeln und fiel deshalb nicht auf. Leider hatte er das Talent seines Vaters nicht geerbt. Lucas gelangen kein Bluff und kein Pokerface. Man sah ihm an, was er dachte, und das war für Männer und Spiel nicht schmeichelhaft. Binnen kürzester Zeit hatte er das wenige Geld verspielt, das er aus Kiward Station mitgebracht hatte, und musste sich die Verluste stunden lassen. Sicher hätte es erneut Schwierigkeiten gegeben, hätte Copper nicht seine Hand über ihn gehalten. Der ältere Mann hofierte ihn so deutlich, dass Lucas sich schon Gedanken darüber machte. Es war nicht unangenehm, aber es musste irgendwann auffallen! Lucas dachte noch mit Grausen an die Anspielungen der Viehtreiber auf Kiward Station, wenn er lieber mit dem jungen Dave zusammen war als mit den erfahrenen Männern. Die Bemerkungen der Jäger auf der Pretty Peg hielten sich jedoch in Grenzen. Auch unter anderen Männern auf den Fangschiffen gab es enge Freundschaften, und manchmal bei Nacht drangen Geräusche aus den Kojen, die Lucas die Schamröte ins Gesicht trieben – und doch Lust und Neid in ihm weckten. War es das, wovon er auf Kiward Station geträumt und woran er gedacht hatte, wenn er versuchte, Gwyneira zu lieben? Lucas wusste, dass es zumindest damit zu tun hatte, doch irgendetwas in ihm wehrte sich dagegen, in dieser Umgebung an Liebe zu denken. Es hatte nichts Reizvolles, stinkende und ungewaschene Körper zu umarmen, egal, ob sie männlich oder weiblich waren. Und mit dem einzigen, ihm aus der Literatur bekannten Vorbild für seine geheimen Gelüste, dem griechischen Ideal des Mentors, der sich eines wohlgewachsenen Knaben annahm, um ihn nicht nur mit Liebe zu beschenken, sondern auch an seiner Weisheit und Lebenserfahrung teilhaben zu lassen, hatte das wohl auch nicht viel zu tun.
Wenn Lucas ehrlich sein sollte, hasste er jede Minute seines Aufenthalts auf der Pretty Peg . Vier Jahre an Bord zu verbringen erschien ihm unvorstellbar, doch es gab keine Möglichkeit, seinen Vertrag zu lösen. Und monatelang würde das Schiff nirgendwo anlegen. Jeder Gedanke an Flucht war vergebens. Lucas hoffte deshalb nur noch, sich irgendwann an die Enge, die raue See und den Gestank zu gewöhnen. Letzteres erwies sich als das Einfachste. Schon nach wenigen Tagen fühlte er sich weniger abgestoßen von Copper und den anderen – vermutlich deshalb, weil ihn selbst inzwischen der gleiche Geruch umgab. Auch die Seekrankheit ließ langsam nach; es gab Tage, in denen Lucas sich höchstens einmal übergeben musste.
Aber dann kam es zur ersten Jagd, und damit veränderte sich alles.
Im Grunde war es ein ungewöhnlicher Glücksfall für den Skipper, dass der Steuermann der Pretty Peg schon zwei Wochen nach dem Auslaufen einen Pottwal sichtete. Sein begeisterter Ruf weckte die Mannschaft, die früh am Morgen noch in ihren Kojen gelegen hatte. Die Nachricht ließ die Männer jedoch sofort aufspringen und in Windeseile an Deck stürmen. Sie waren aufgeregt und voller
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