Im Land des Falkengottes. Amenophis
heraus.
«Bei ihr war es etwas anderes. Sie war zum einen für mich etwas unnahbar und stand mir immer zu sehr auf der Seite meiner Mutter, und zudem hatte und habe ich ja selber eine Mutter, die ich sehr liebe. Ich bin mir durchaus bewusst, was Tuja für deine Familie getan hat. Mehr, als mancher glaubt.»
Ein leichter Nordwind blies in die mächtigen Palmwedel, die sich zu unseren Füßen langsam und gleichmäßig im Silberlicht des Mondes wiegten, wie Schiffe in ruhiger See. Und der Wind verursachte ein Rauschen, das mich an eine weit entfernte Brandung erinnerte. Im Geiste ließ ich alle Toten, die ich kannte, ließ ich «meine» Toten an mir vorüberziehen: den toten Osiris Thutmosis Men-chepru-Re, welcher für mich noch viel mehr entrückt war als für Ameni. Dann waren da Nimurias tote Geschwister, Merit, meine Eltern. Aber da war auch der tapfere Maj und mein Diener Senu. Und jetzt sah ich auch sie wieder, die Tänzerin, sah ich Inena. Schemenhaft nur, da die Erinnerung an ihr Gesicht nachgelassen hatte. Aber sie war da. Lebte sie noch? Ich hätte es zu gerne gewusst, und niemand hätte mich aufgehalten, hätte ich sie zu mir holen können.
«Bleibst du heute Nacht hier im Palast?»
Ameni gab sich größte Mühe, ein Lächeln zu vermeiden, ein Lächeln, welches mir Absichten unterstellt hätte. Ich sah ihn eine ganze Weile regungslos an. Sollte dies eine Prüfung sein?
Ich blieb nicht.
Ich war nicht sonderlich stolz auf mich, aber ich war beruhigt, dass ich am Ende eines solch bewegenden Tages doch nein sagen konnte. Ich habe noch lange nach diesem Abend darüber nachgedacht, ob Ameni diese Frage wirklich ernst gemeint hatte. Wie hätte er reagiert, wäre ich geblieben? Hätte er mich für ein gefühlloses Scheusal gehalten, für einen rücksichtslosen Lüstling? Oder hätte er mich gar insgeheim beneidet, er, dem kein Genuss dieser Welt fremd war? Es fiel mir nicht schwer, diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Nimuria war ein Freund alles Schönen, und die Schönen verehrten ihn wie einen Gott.
Amenophis, Sohn des Hapu, verstand es wie kein anderer, die Wünsche und Sehnsüchte seines Herrschers Wirklichkeit werden zu lassen. Hor und Suti, die Zwillingsbrüder, Thutmosis, der Bildhauer, und Sessu, der königliche Obergärtner, halfen ihm dabei nach Kräften.
Ganz Ägypten half.
Überall, von der Flussmündung im Norden, bis hinab in das elende Kusch, weit unten im Süden, wurde gebaut, gearbeitet und gefeiert. In den Schatzkammern der Tempel und Paläste, in den geheimen Kammern der Mächtigen häuften sich unermessliche Reichtümer, und ich wollte manchmal gar nicht glauben, dass die Erde überhaupt so viele Schätze barg.
Aber so viel Reichtum macht auch blind. Er macht blind für das, was um uns herum geschieht. Und so nahm Nimuria das Stöhnen seiner benachbarten Freunde und Vasallen, die Auseinandersetzungen, die sie mit den Feinden Ägyptens führten, nur ungern oder gar nicht wahr.
Längst hatte Nimuria eine Tochter seines babylonischen Bruders Kurigalzu geheiratet, und ihr Schicksal war ein ähnliches wie das der Giluchepa. Ameni wollte noch eine, eine jüngere haben. Aber der Ton zwischen den Höfen wurde spürbarrauer. Jetzt regierte in Babylon Kadaschman-Ellil, der Sohn Kurigalzus, und in einem seiner Briefe wurde er sehr deutlich:
«Du bittest meine Tochter zur Frau, doch meine Schwester, die mein Vater dir zur Frau gegeben hat, ist schon bei dir. Niemand hat sie gesehen, sodass auch niemand sagen kann, ob sie noch lebt oder schon gestorben ist. Du hast meine Boten angesprochen, als deine Frauen um dich herum standen, und gesagt: ‹Hier ist eure Herrin, die vor euch steht.› Doch meine Boten haben sie nicht erkannt und wussten nicht, ob es meine Schwester war, die da an deiner Seite stand. Meine Boten kannten sie nicht. Wer kann sie denn erkennen? Meine Töchter, die mit Königen der Nachbarschaft verheiratet sind, sprechen mit meinen Boten, wenn meine Boten dorthin kommen, und sie schicken mir als Gruß ein Geschenk. Doch das Mädchen an deiner Seite ist wohl arm.»
Im großen Audienzsaal des Palastes herrschte eisiges Schweigen. Der Wesir, die Priester und die übrigen Mächtigen der Beiden Länder sahen betreten zu Boden, und selbst die Wedelträger Pharaos hielten für einen Augenblick in ihren monotonen Bewegungen inne. Ich wusste, dass Amenophis kurz vor einem Wutausbruch stand, aber sein Blick war starr auf den Gesandten des babylonischen Königs
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