Im Land des Falkengottes. Amenophis
Größe, Farbe und Lage ausgearbeitet hatte. Unzählige Stunden verbrachte er mit Nimuria und Amenophis, Sohn des Hapu, erläuterte seine Absichten und nahmdie Wünsche Pharaos, die Befehlen gleichkamen, in seine Planungen auf. So entstand ein Gesamtwerk, welches an künstlerischem Wert den Gebäuden des weisen Amenophis nicht nachstand.
Wer sich längere Zeit im Garten Nimurias aufhalten durfte, erlebte einen Rausch aller Sinne. Die Auswahl der Bäume und Sträucher, ihre Anordnung und ihre Farben waren so geschickt gewählt, dass man, kaum waren einige Ellen zurückgelegt, glaubte, man befände sich bereits in einem völlig anderen Garten, ja in einem anderen Land. Wie durch einen Irrgarten schlängelten sich die Wege durch Baum- und Buschgruppen hindurch, vorbei an Beeten mit einer Blütenpracht, die man vorher nicht kannte. Hier überraschte ein kunstvoll geschnitztes Schattenhaus, dort ein kleiner Tempel aus leuchtend weißem Stein. Dazwischen lagen unzählige kleine und große Teiche, die einen übersät mit weißen, andere mit blauen Lotosblüten.
Da und dort versteckte Sessu in den Bäumen Gehänge von kleinen Metallschellen, die im Nordwind, gleich dem Klang von Sistren der Hathorpriesterinnen, schüchtern ihre Melodien spielten. Dazu erklangen tagsüber die zarten Stimmen der Palastmusikerinnen und ihrer Instrumente, und nach Einbruch der Dunkelheit verzauberte der Gesang der Nachtigallen den Garten. Der Duft von Millionen Blüten, der Geruch von Kräutern, Gewürzpflanzen und Baumharzen tat sein Übriges, um den Besucher endgültig in einen Zustand von übernatürlicher Freude und Glückseligkeit zu versetzen.
In seinem Palastgarten ließ Nimuria keine großen Feste feiern, denn dazu war er ihm zu schade. Hier traf man sich nur in kleiner, vertrauter Runde, und wer eingeladen wurde, daran teilzunehmen, gehörte zu den Großen und Mächtigen der Beiden Länder oder war ein bedeutender Gast eines fremden Volkes.
Mein Vater war schon seit längerem krank. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer, er aß immer weniger, und sein körperlicher Verfall war durch nichts aufzuhalten. Im Laufe von nur wenigen Wochen wurde er so schwach, dass er nur noch auf einer Sänfte in den Garten getragen werden konnte und dort auf einer Liege im Schatten der Bäume den Tag verbrachte. So oft ich nur konnte, besuchte ich ihn, und fast immer begleiteten mich Prinz Amenophis und Nafteta. So schwer Vater das Sprechen auch fiel, er erzählte den Kindern, die jetzt neun und zehn Jahre alt waren, unentwegt Geschichten aus seinem langen Leben.
Prinz Amenophis und Nafteta konnten schon lange lesen und schreiben, sie hatten in der Palastschule und von mir viel über die Götter unseres Landes, über Sternenkunde und die Natur erfahren. Aber von den Erzählungen meines Vaters konnten sie nicht genug bekommen. Vor allem Prinz Amenophis war ein geduldiger und aufmerksamer Zuhörer. Aber das Erstaunliche an ihm war, dass er Fragen stellte, die ich nie zuvor aus dem Munde eines Knaben seines Alters, ja nicht einmal von einem Erwachsenen hörte. Er wollte wissen, warum der Gute Gott, sein Vater, auf den vielen Figuren, die in jedem Tempel, vor und in jedem Palast zu sehen waren, als junger, schlanker Mann dargestellt wurde, wo er doch schon alt und alles andere als schlank war. Er wollte wissen, warum die Sprache, die wir sprachen, völlig anders war als das, was geschrieben wurde. Und er stellte Fragen nach unseren Göttern und ihrem Wesen, die ich selbst meinem Vater zu stellen nie gewagt hätte. Prinz Amenophis zweifelte. Er zweifelte daran, dass ein Krokodil, dass ein Flusspferd eine Gottheit sein und für uns Menschen von Bedeutung sein konnte. Ja, er zweifelte sogar an der Gottheit des höchsten Gottes, an Amun-Re.
Anfangs haben Vater und ich die Fragen abgetan mit dem Hinweis, dass Amenophis noch ein Knabe und noch nicht reifgenug sei, um das Wesen und Wirken unserer Götter zu verstehen. Er fühlte, dass wir ihn nicht verstehen wollten, dass wir davor zurückschreckten, uns mit ihm auseinander zu setzen und ihm ehrliche Antworten zu geben. Was wussten wir denn selbst wirklich? Ich erinnerte mich meines Gespräches mit Anen und spürte nun, dass auch ich Zweifel hegte. Ein Knabe und ein Mädchen von gerade neun oder zehn Jahren. Aber bald würden beide erwachsen sein, und dann würde es kein Halten mehr geben. Dessen war ich mir sicher.
Prinz Amenophis war so anders, als die übrigen Kinder seines Alters. Er war zwar groß
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