Im Land des Falkengottes. Amenophis
gewachsen, aber sein Körper war ungeeignet für körperliche Ertüchtigung, für Ballspiele und Wettkämpfe. Seine Beine wirkten übermäßig lang, aber die Oberschenkel waren rund und prall, während die Unterschenkel eher dünn und schwächlich schienen, wie auch die Arme und der Hals. Sein Oberkörper dagegen wirkte kurz und gedrungen. Auch wenn er der Sohn Pharaos war, bekam er gelegentlich spöttische Bemerkungen zu hören, sodass er sich noch mehr zurückzog. Nur Nafteta wich nicht von seiner Seite. Sie beklagte sich nicht selten bei mir über die Boshaftigkeit der anderen und beschloss wie zum Trotz, gerade nicht von des Prinzen Seite zu weichen. So sah man die beiden oft stundenlang allein, tief versunken im Gespräch oder gebeugt über Schriftrollen.
Vaters Wesen begann sich zu verändern. Es gab Tage, da war er von einer Boshaftigkeit, die wir bisher an ihm nicht kannten. Er beschimpfte uns und die Dienerschaft, sprach in abfälligen Worten über jeden, der ihm in den Sinn kam, und war mit nichts, was um ihn herum geschah, zufrieden. Anderntags konnte er wieder von einer Liebenswürdigkeit sein, die uns geradezu lästig, ja weibisch erschien. Seine Stimme war dann auffällig weich und freundlich, und Dinge, die ersonst nicht einmal am Rande beachtet hätte, wie eine Blume oder ein Schmetterling, derart unbedeutende Dinge konnten ihn nun zu Tränen rühren.
Auch seine Essgewohnheiten änderten sich von Tag zu Tag. Es kam vor, dass er eine Woche lang nach derselben Speise verlangte und nichts anderes essen wollte, ja, nach seinen eigenen Worten essen konnte. Dann verabscheute er alles andere und wollte sich nicht vorstellen, je anderes gegessen zu haben. Zuletzt hegte er eine derart tiefe Abscheu gegen alles Fleisch, dass wir in seiner Gegenwart nicht mehr davon zu essen wagten. Trank er oft tagelang keinen Schluck Wein, ja verachtete er ihn geradezu, konnte er an manchen Tagen nicht genug bekommen und verlangte schon morgens nach dem ersten Becher.
Von Woche zu Woche wurde sein Verfall sichtbarer. Jeder seiner Atemzüge wurde jetzt von einem unheimlichen Rasseln in der Brust begleitet, sein Blick wurde starr, und er schien zunehmend geistesabwesend. Amenophis und Teje weilten schon seit Wochen in Soleb, und so verbrachte ich die letzten Nächte im Palast meiner Eltern, da Vater das Bett nicht mehr verlassen konnte und ich nicht wollte, dass Mutter allein bei ihm war. In der Nacht vor seinem Tod tat keiner von uns ein Auge zu. Mutter holte mich mehrmals zu sich, da sie glaubte, es ginge mit ihm zu Ende. Am anderen Morgen erwachte er jedoch recht früh, machte sogar einen erholten Eindruck und verlangte nach Essen. Wie es Mutters Art war, versuchte sie ihn mit erheiternden Worten von seiner schlimmen Lage abzulenken, sprach von dem schönen Morgen und davon, was sie alles zu besorgen gedachte. Da wurde er unruhig in seinem Bett, richtete sich immer wieder auf, weil er, wie es schien, im Liegen keine Luft mehr bekam. Zuletzt saß er aufrecht auf der Kante seines Bettes, rechts neben ihm Mutter, ich links. Er legte seine Arme auf unsere Schultern, und sein Atem gingimmer schwerer. Er starrte zu Boden und hauchte ein paar Worte, die wir jedoch nicht verstanden. Dann drehte er seinen Kopf und sah mich an, dann Mutter. Für einen kurzen Augenblick bewegte er mehrmals schnell und in kurzen Abständen die Augenlider, um schließlich leblos in sich zusammenzusinken.
Ja, sein Tod war eine Erleichterung. Es war eine Erlösung für ihn, der zuletzt so sehr gelitten hatte und in seiner ständigen Atemnot befürchtete, ersticken zu müssen. Er war ein Leben lang ein selbständiger Mensch, der nie auf fremde Hilfe angewiesen sein wollte, immer rastlos, immer hilfsbereit anderen gegenüber. Er hatte es gehasst, selbst hilflos zu sein und bei den einfachsten Verrichtungen der Hilfe anderer zu bedürfen. Aber auch für meine Mutter war sein Tod eine Erlösung. Nach all den Monaten, während derer sie Tag und Nacht für ihn da war, nur Rücksicht auf ihn nahm und nicht einen Augenblick für sich selbst beanspruchte, nach all dieser Zeit war sie am Ende ihrer Kräfte. Sie war ausgelaugt.
Mit großer Würde überstand sie die Totenriten, bis man Vaters Leichnam den Dienern der Ewigkeit übergab. Dann starb auch sie. Völlig unerwartet, ohne jedes Anzeichen irgendeiner Krankheit lag sie genau zwanzig Tage, nachdem uns Vater verlassen hatte, morgens tot in ihrem Bett. Sie lag dort wie eine stolze Frau, die nur so tat, als
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