Im Land des Falkengottes. Echnaton
Miene ließ wohl keinen Zweifel daran, dass ich wirklich ratlos war.
«Niemand weiß es, Eje. Doch lass uns erst Ameni in aller Würde, die wir beide aufbieten können, bestatten. Dann werden wir weitersehen.»
Sie zog einen Ring von ihrem Finger, ergriff meine Hand und legte ihn hinein.
«Er ist von Echnaton. Sein Ring ermächtigt dich vor allen anderen, die Bestattung zu leiten und als letzten Dienst an Amenophis das Ritual der Mundöffnung zu vollziehen.»
Die Bestattung des Vorgängers war nicht nur eine der ersten Amtshandlungen des künftigen Pharaos, sondern sie rechtfertigte überhaupt den Anspruch auf den Thron, zumal dann, wenn der verstorbene Herrscher keinen männlichen Nachkommen hatte und so ein neuer Herrscherstamm gegründet werden würde. Es bedeutete mehr als nur eine hohe Auszeichnung, dass Echnaton mir dieses Amt übertrug. Es war wie eine verschlüsselte Botschaft an mich, dass er mit Waset und dem alten Glauben nie mehr etwas zu tun haben wollte.
Echnaton bezweckte damit aber noch etwas anderes: Mit diesem Vertrauensbeweis machte er es mir unmöglich, an seiner starren Haltung, Achet-Aton nicht zu verlassen, Kritik zu üben. Es war nicht mehr nur so, dass ich dem Thron sehr nahe stand. Ich hatte jetzt eine schwerwiegende Amtshandlung zu vollziehen, die sonst nur einem Pharao zustand. Ich musste mich natürlichdem Willen Echnatons beugen, denn eine Weigerung wäre einem Verrat an ihm und der Familie gleichgekommen. Und hatte ich nicht erst vor kurzem meinem Freund Amenophis versprochen, immer für seine Familie da zu sein?
Teje hatte sich in ihre Gemächer zurückgezogen. Ich blieb auf der Dachterrasse und sah hinab auf all die Palastgebäude, die jetzt im silbrig-blauen Licht des Monds kalt und unheimlich wirkten. Mir war, als wäre es nach dem Tod Amenis in Waset und im Palast der leuchtenden Sonne tatsächlich kälter geworden. Es mochte gewiss damit zu tun gehabt haben, dass sich eine lähmende Unsicherheit über uns alle gelegt hatte, denn jeder war über die Maßen vorsichtig geworden, zurückhaltend in seinen Worten, wusste doch keiner, ob sich Echnaton an seinen Eid halten oder doch eines Tages nach Waset zurückkehren würde. Jede jetzt unbedacht gemachte Äußerung hätte dann das Ende eines als sicher geglaubten Lebenswegs bedeuten können.
Echnaton hatte zwölf Jahre gemeinsam mit – oder richtiger gesagt: neben seinem Vater – geherrscht. Das musste Gewähr dafür sein, dass er seine Verantwortung gegenüber dem ganzen Land kannte und danach handelte! Wie viele Menschen mochte es in Waset, überhaupt in Ägypten geben, die jetzt solchen Gedanken nachhingen wie ich und die sich Sorgen machten? Aber auch um mich selbst war es kälter geworden. Was wollte ich hier in Waset ohne Amenophis, ohne Ti, ohne meine Töchter und ohne die Enkelinnen? Als übrig gebliebener, alter Mann würde ich hier leben, und irgendwann würde man mich als ein Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit gar nicht mehr beachten. Wollte ich nicht völlig allein und im Stich gelassen meine letzten Lebensjahre fristen, musste ich die Nähe zu Echnaton und Nofretete suchen, gleich, wo sie sich aufhielten.
Da kam mir auch Kija wieder in den Sinn, die vielleicht ganz in meiner Nähe in irgendeinem der vielen Zimmer des Palastesam Fenster saß und ebenso ehrfürchtig und mit Tränen in den Augen die Scheibe des Mondes betrachtete, wie ich es jetzt tat. Gewiss waren es nicht Tränen der Trauer um Nimuria, einen Mann, den sie kaum gekannt und noch viel weniger geliebt hatte, sondern Tränen eines wohl unsäglichen Heimwehs nach ihrer Familie, nach ihrem Land.
Der Tod eines Einzelnen lässt so manchen einsam zurück, und die so Alleingelassenen wissen oft gar nicht voneinander und hätten sich vielleicht doch so viel zu sagen. Es sind dies für immer verlorene Möglichkeiten, Trauer gemeinsam zu überwinden.
Je näher der Tag der Beisetzung Nimurias rückte, desto unruhiger und aufgeregter wurde die Stimmung in der Stadt. Aus dem Nichts tauchten bisher unbekannte Wahrsager auf, die vom nahen Ende Ägyptens, ja der Welt sprachen. Sie priesen Amenophis als den letzten wahrhaften Horus, nach dessen Bestattung sich alles dem Ende zuneigen würde. Sie beschimpften Echnaton in aller Öffentlichkeit als Abtrünnigen vom rechten Glauben, der für den Untergang verantwortlich gemacht werden müsse, noch ehe er Wirklichkeit wurde. Es waren Worte des offenen Aufruhrs. Die Polizisten Turis hatten in diesen Tagen
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