Im Land des Falkengottes. Echnaton
Teje eine Weile, ehe sie fortfuhr – «bereiten mir manchmal Sorge. Ich schätze den Eifer, den er gerade jetzt zeigt, und er verfügt gewiss über große Fähigkeiten, wenn es darum geht, Dinge, die ihn fesseln, anzupacken und zu Ende zu bringen. Doch niemand weiß besser als du, dass ihn viele wichtige Staatsangelegenheiten nicht interessieren. Das ist gefährlich, Eje. Du kannst manches ausgleichen, ebenso wie ich. Aber wir wissen beide nicht, wie lange.»
«Glaubst du nicht, dass dein Sohn über genug Verantwortungsbewusstsein verfügt, um alle Belange seines Amtes ernst zu nehmen?», fragte ich und kannte natürlich selbst die Antwort.
«Nein, Eje, damit hat es nichts zu tun. Er ist ein Schwärmer. Und Schwärmer erfüllen nur ihre vermeintlichen Pflichten im Übereifer. Dieser Übereifer macht ihn blind für so vieles Andere.»
«Und meine Tochter? Was erwartest du von Nofretete?»
«Nimuria lässt seit vielen Jahren manche Dinge völlig unbeachtet. Er dachte meist nur an seine Tempel, an seinen Palast und an sein Grab. Die Herrscher anderer Länder interessierten ihn oft nur dann, wenn er eine ihrer Töchter zur Frau haben wollte.» Teje erregte sich jetzt immer mehr, und ich sah mich verstört um, ob uns nicht jemand hören konnte.
«Ich will von dir wissen, ob du es Nofretete zutraust, dass sie so wie ich manche dieser Lücken ausfüllt. Machen wir uns nichts vor, Eje! Deine Tochter wird wie ich Dinge tun müssen, die Nimurias Vater nie aus der Hand gegeben hätte. Das Gefährliche dabei ist, dass seit Hatschepsut niemand in diesem Land eine mächtige Große königliche Gemahlin haben will, und schon gar nicht einen Pharao, der eine Frau ist.»
Teje hatte mit jedem Wort, das sie sagte, vollkommen Recht. Ja, der Gedanke an eine Alleinregentschaft des Prinzen beunruhigte auch mich. Aber die Frage, ob meine Tochter Nofretete Lücken in der Herrschaft ihres künftigen Mannes ausgleichen könnte, hatte ich mir bis dahin noch nicht gestellt.
Schweigend sah ich Teje an. Ihre kleine und schmale Nase wirkte noch immer mädchenhaft. Doch die Augen, deren Lider weit herabhingen, waren unter den hochgezogenen Augenbrauen müde, und die tiefen Furchen, die sich von den Nasenflügeln, vorbei an den Lippen bis in das Kinn in ihr sonst so vollkommenes Gesicht gegraben hatten, verrieten die Last ihres Amtes, ja ihres Lebens. Das war nicht das Gesicht einer Frau, die im Schutze des mächtigsten Herrschers der Welt und in der Abgeschiedenheit märchenhafter Palastgärten ein beschauliches, unbeschwertes Leben führte. Es war nicht das Gesicht einer Königin, die von Scharen bezaubernder Dienerinnen verwöhnt wird und die von morgens bis abends nur Lautenmusik und Schmeicheleien hörte. Viel Leid und Schmerz erkannte ich in diesem Gesicht, und viel Sorge um die Zukunft des Landes und den Bestand der Dynastie.
Sie hatte in den zurückliegenden Jahren an allem, was in den Beiden Ländern vor sich ging, mehr Anteil genommen, als ich je ahnte. Es brach aus ihr an diesem Tag so vieles heraus, worüber sie nach ihren eigenen Worten noch nie mit einem Menschen geredet hatte. Es war nicht nur der Kummer, den jede Mutter erleidet, wenn ein Kind erkrankt ist, niemand Hilfe weiß und man nur noch auf die Gnade der Göttin Sachmet vertrauen kann. Es war nicht nur das Leid, das einer Frau von einem oft rücksichtslosen Ehemann zugefügt wird, der nicht mehr gewahr wird, wie sehr sie seiner Liebe bedarf, dem jedoch alles andere auf dieser Welt wichtiger zu sein scheint. Es war der Schmerz einer Frau, die mehr Last auf sich genommen hatte, als es ein starker Mann ertragen hätte. Die Last, nicht nur neben, sondern hinter oder sogar anstelle des eigentliches Herrschers zu herrschen, ohne dass sich jener seiner Entmachtung – und nichts anderes bedeutete Tejes Handeln –, ohne dass sich Nimuria der mächtigen Stellung seiner Frau bewusst wurde.
Aber Teje beklagte sich nicht über ihr Schicksal. Im Gegenteil: Sie war entschlossen, den Weg, den sie beschritten hatte, weiterzugehen, ohne sich von irgendjemandem aufhalten zu lassen. Sie und Nimuria sollten nach ihrem Willen für immer im Gedächtnis der Menschheit das leuchtendste Herrscherpaar Ägyptens bleiben. Niemand sollte daran zweifeln, dass es je einen größeren und mächtigeren Pharao auf dem Thron der Beiden Länder gegeben hatte, als eben jenen Amenophis Nimuria mer-chepesch, den Sohn des Re, gezeugt von Amun. Und jeder sollte wissen, dass Teje die Große königliche
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