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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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führen. Den meisten gelte ich als umständlich und unbequem, deswegen verschont man mich fast völlig mit Aufträgen. So kann ich in der Ruhe der Abgeschiedenheit meine Gedanken und meine Vorstellungen von den Menschen in den Stein meißeln oder aus dem Holz heraus schnitzen. Das ist mir mehr als genug. Ich lebe nur noch der Wahrhaftigkeit.»
    Und als er dies sagte, machte sich Thutmosis wie zur Bekräftigung noch etwas größer.
    «Der Wahrhaftigkeit hast Du Dich also verschrieben», sagte Amenophis freundlich, wenn auch nachdenklich.
    «Bist Du denn bereit, uns eines dieser Werke zu zeigen?», fragte Nafteta.
    «Ich wurde durch Eje auf diesen Besuch vorbereitet. Deswegen habe ich Euch ein kleines Geschenk mitgebracht, und ich kann nur hoffen, dass Ihr mir nicht zürnen werdet, wenn Ihr es gesehen habt.»
    Ohne eine Antwort abzuwarten, bückte er sich, nahm den Deckel der Schachtel ab und klappte eine der Wände zur Seite. Dann hob er eine kleine Holzfigur daraus hervor und überreichte sie dem Thronfolger. Sie war aus Ebenholz geschnitzt und zeigte meine Schwester Teje. Nie zuvor in meinem Leben habe ich ein Abbild eines Menschen gesehen, das so nach dem Leben geschaffen war wie dieses Gesicht der Großen königlichen Gemahlin. Es war ihr Gesicht! Es waren ihre halb geschlossenenAugen, der wulstige Mund mit den herabhängenden Mundwinkeln, die kleine, immer noch mädchenhaft wirkende Nase. Es war ihr müder, wie von allem Leid der Welt gezeichneter Blick.
    Amenophis schüttelte fast unmerklich den Kopf und hielt Nafteta die Figur entgegen. Sie hielt sie hoch, als wollte sie Teje von gleich zu gleich in die Augen sehen.
    «Wer hat Dich das gelehrt, Thutmosis? Ein Künstler setzt sich nicht einfach hin und beschließt, ab morgen Abbilder nach dem Leben zu schaffen», fragte meine Tochter, ohne ihre Blicke vom Gesicht Tejes abzuwenden.
    «Ihr habt Recht, Prinzessin. Das habe ich nicht von heute auf morgen beschlossen. Vor vielen Jahren gab es einen Zeitpunkt, da wurde ich mit meinen Werken mehr und mehr unzufrieden.»
    Dann stockte Thutmosis.
    «Fahre fort, Thutmosis», bat ihn der Prinz.
    «Du kannst hier ungehindert reden. Hier geht es schließlich um Wahrhaftigkeit.»
    «Ich wurde mehr und mehr unzufrieden, weil ich feststellen musste, dass meine Werke mit zunehmendem Alter meiner Auftraggeber nicht mehr ihrem wahren Äußeren entsprachen.»
    Jetzt bekam Amenophis einen roten Kopf und sagte nur: «Ja, und?»
    «Ich versuchte zuerst, möglichst viel Wahrhaftigkeit in die Abbildung zu bringen, ohne verletzend oder gar beleidigend zu werden. Aber es ging nicht. Die Bildnisse wirkten jetzt erst recht lächerlich. Ich habe sie allesamt vernichtet. Eines Abends war ich so wütend, dass ich nach drei oder vier Bechern Wein begann, den Kopf meines alten Leibdieners zu schnitzen, so wie ich ihn haben wollte: wahrhaftig. Er ist gelungen. Mein Diener und seine Frau waren zuerst entsetzt. Sie fürchteten sich vor Magie und glaubten, er müsse jetzt sterben, weil ich sein Äußeres eingefangen hatte und er deswegen nicht mehr leben könne. Ich musste ihm den Kopf schenken, und sie haben ihn zusammen vernichtet.»
    «Es ist eben kein Volk so abergläubisch wie wir Ägypter», unterbrach ihn der Prinz kopfschüttelnd.
    «Aber ich machte weiter. Im Geheimen. Ich schnitzte alle möglichen Menschen, bis ich es zuletzt gewagt habe, von Eurer geschätzten Mutter dieses Abbild zu schaffen.»
    «Hast Du Dich schon an meinem Vater versucht?», fragte Amenophis mit ernstem Gesicht.
    «Nein, mein Prinz. Das würde ich nicht wagen, ohne mich vorher der Gnade Pharaos versichert zu haben. Ich hänge noch ein wenig am Leben und kann nur hoffen, dass das Abbild Eurer Mutter nicht meine Verbannung bedeutet.»
    Erst jetzt wandte sich Prinz Amenophis dem ebenfalls anwesenden Nebamun zu, der die ganze Zeit schweigend daneben stand. Nebamun war klein von Gestalt, und das erinnerte mich an die kleine Gemeinheit, die man den Bewohnern der Totenstadt nachsagte: Keiner der Männer dürfte größer sein als drei Ellen, um leichter in den Gräbern arbeiten zu können. Nebamun maß gewiss nicht viel größer als drei Ellen, aber er war von kräftiger, muskulöser Statur. Er war gewiss noch keine zwanzig Jahre alt und trug wie sein Freund Nacht einen kleinen schwarzen Kinnbart.
    «Die Farben in jenem Grab sind einzigartig», sagte der Prinz mit leiser Stimme. «Ist es nicht sehr teuer für einen Schreiber, wenn so viel grüne und blaue Farbe verwendet

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