Im Land des Falkengottes. Echnaton
Angesicht,
Maat umarmt dich allezeit.
Du durchquerst den Himmel mit weitem Herzen,
der Messersee ist zur Ruhe gekommen.
Der Rebell ist gefallen, seine Arme sind gebunden,
das Messer hat seinen Wirbel durchschnitten.»
Mein Schüler schwieg noch eine Weile, ohne seine Blicke von der Tafel abzuwenden. Dann sagte er: «Es sind schöne Worte, die Du ausgesucht hast, Nacht. Sie machen mich neugierig auf das Innere. Darf ich eintreten?»
Der Schreiber nickte schweigend.
Wir gingen über einen kleinen Hof und durch eine schmale Tür in einen quer gelegenen Raum, der etwa zehn Ellen breit und drei Ellen tief war, und den man «Breite Halle» nennt. Die Wände dieses Raumes waren vollständig ausgemalt. Zu beidenSeiten des Eingangs sah man den Grabherrn und seine Frau Taui beim Brandopfer. Daneben sahen wir Bilder von der Feldarbeit, der Ernte und von der Weinlese. Einmal war der Grabherr im Schilf abgebildet, wie er mit einem Wurfholz nach Enten wirft, die aufgeflogen waren, und gegenüber in der Haltung eines Fischers, der im Begriff steht, seinen Speer ins Wasser zu stoßen. Der Maler hatte auffällig viel Grün und Blau in allen Schattierungen verwendet, und selbst die Schrift über dem Bild war in blauer Farbe. Blau und Grün waren gewiss keine billigen Farben.
Die rechte, gegenüberliegende Wand beherrschte eine Vogeljagd im Papyrusdickicht, die linke Wand die jährliche Gedenkfeier für die Verstorbenen, die man auch «Das schöne Fest vom Wüstental» nannte.
Was wir erblickten, versetzte uns in Erstaunen, denn da waren nicht mehr die streng gegliederten Bilder in der überkommenen Art der Darstellung, nicht mehr Menschen in der unserem Land eigenen Haltung des Kopfes, des Rumpfes und der Glieder. Da saß ein blinder Harfner mit untergeschlagenen Beinen, und der Betrachter sah dessen nackte linke Fußsohle, den kahl rasierten Kopf und tiefe Falten im vorstehenden Bauch. Hinter ihm saßen oder hockten drei Damen, die Zweite drehte sich nach hinten und reichte der Letzten eine Frucht. Man sah eine Gruppe junger Musikantinnen, und jedes dieser Mädchen war in einer anderen Haltung abgebildet. Die Erste trug ein bodenlanges, weißes Kleid und spielte mit leicht gesenktem Kopf Flöte. Das mittlere Mädchen drehte ihren fast völlig nackten Körper nach hinten, ihr rechtes Bein war angewinkelt und die Finger ihrer linken Hand griffen nach den Saiten der Laute, die sie gerade spielte. Das dritte Mädchen trug dasselbe weiße Gewand wie die Erste, spielte stehend auf ihrer Harfe und sah dabei auf den Grabherrn.
Als ich mir die Mädchen der Reihe nach ansah und schließlich am rechten Bildrand angelangt war, erschrak ich so sehr,dass ich nur mit Mühe einen kleinen Aufschrei unterdrücken konnte. Das Mädchen mit der Harfe war ohne jeden Zweifel niemand anderes als Isis. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, sah ich mir auch die anderen Wände genau an, dann kehrte ich nochmals zu den Musikantinnen zurück. Jetzt war ich mir auch sicher, dass nicht nur Isis abgebildet war, sondern auch die beiden anderen Mädchen, die ich bei mir beherbergt hatte.
«Die Damen haben es dir offenbar angetan, Eje», spöttelte der Prinz und trat neben mich.
«Sieh dir diese Bilder genau an, Amenophis», gab ich ihm zur Antwort, «Derartiges wirst du so bald nicht wieder sehen. Diese Bewegung in den Bildern, die Haltung der Körper, die Farben – es ist alles neu! Auch Kleinigkeiten sind mit so viel Liebe und Freude dargestellt. Sieh hier: Die Katze, wie sie einen Fisch frisst.»
«Wie heißt der Maler?», fragte der Prinz seinen Schreiber. Nacht zupfte sich verlegen an seinem kurzen Kinnbärtchen, war er sich doch nicht sicher, ob seinem Freund Nebamun Strafe oder Lob erwartete.
Dann senkte er etwas den Kopf und sagte leise: «Er heißt Nebamun, mein Prinz. Er lebt in der Totenstadt jenseits des Berges.»
Nacht sah mich mit so traurigen Augen an, dass der flehentliche Wunsch, ich möge ihm helfen, nicht zu übersehen war.
«Ich glaube nicht, dass Euer Herr beabsichtigt, Nebamun zu bestrafen», versuchte ich ihn zu beruhigen und forderte damit gleichzeitig eine Bemerkung des Prinzen heraus.
«Weshalb bestrafen? Wie kommt Ihr darauf, dass Nebamun Strafe erwarten könnte?», fragte Amenophis sichtlich verwundert.
«Weil er sich nicht streng an die Regeln gehalten hat, Herr. Er zeigt Dinge, die man früher nie so darstellen durfte», gab Nacht kleinlaut zurück.
«Von Strafe kann hier nicht die Rede sein, Nacht. Wenn jemanddie
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