Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Felder des vonder Maat geliebten Bauern noch eine Ausdehnung von zweiundzwanzig Aruren. Dementsprechend wurde die zu erwartende Ernte auf 352 Sack Emmer festgesetzt. Wir alle wissen, dass die letzte Überschwemmung den Erwartungen entsprochen und es keine Zeiten der Dürre gegeben hatte. Und siehe da!», sagte er laut und fröhlich, wobei er das «da» besonders in die Länge zog.
«Die Felder des bedauernswerten Merimaat sind wegen des verdunstenden Wassers und unter der Last des ständig wachsenden Emmers geschrumpft! Geschrumpft sind sie!», wiederholte er laut quiekend.
«Da vergehen kaum vier Monate, und derselbe Steuereintreiber stellt fest, dass Merimaat nur achtzehn Aruren bestellt hatte und dass die Ernte deshalb nur 288 Säcke Emmer betrug.»
Maja wandte sich mir zu, streckte mir die geöffneten Handflächen entgegen, hob die Schultern und fragte: «Wo sind nur die vier Aruren geblieben? Und wo sind nur die vierundsechzig Sack Emmer geblieben? Vom Zehnten, der Pharao zusteht, fehlen viereinhalb Säcke Emmer allein von den Feldern dieses einen Bauern. Ob sie vielleicht Maat geopfert wurden?»
Mir war nicht nach scherzen zumute, denn ich kannte das. Ich kannte diese billige Art von Betrügereien zur Genüge, und ihre Aufdeckung hatte mich vor vierzig Jahren beinahe mein Leben gekostet.
«Wir könnten jetzt diesen Steuereintreiber verhaften und bestrafen, Maja. Dann den nächsten und so weiter. Damit setzen wir diesem Treiben kein Ende. Vielleicht stecken auch diesmal wieder zwei oder drei mächtige Männer dahinter. Auch ihnen würden wir irgendwann auf die Spur kommen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen.»
Ich nahm einen Papyrusbogen, warf einen flüchtigen Blick darauf und legte ihn zerstreut wieder zur Seite.
«Was mich beschäftigt, ist etwas anderes: Haben wir es mit einem Grundübel unserer Zeit zu tun, oder sind es wirklich nur Einzelfälle, die wir aufdecken? Es erschreckt mich immerwieder, wie rücksichtslos und unverschämt Pharao von manchen seiner Untertanen betrogen wird. Geht es ihnen wirklich so schlecht, dass sie das nötig haben? Es mag ja sein, dass es hier nur viereinhalb Säcke Emmer sind, von denen wir reden. Aber bei einer Fläche von einer Million Aruren Ackerland sind es weit mehr als eine Million Säcke Emmer, die Pharao auf diese Art gestohlen werden. Ich mag gar nicht ausrechnen, wie viele Menschen wie lange davon leben können.»
Ich sah, wie Maja nach einer Binse griff und zu rechnen begann.
«Lasst es bleiben», bat ich ihn. «Ich will es wirklich nicht wissen. Was mich dagegen viel mehr beschäftigt, ist, ob es in anderen Bereichen auch so zugeht. Was ist mit Bier und Wein, mit Holz und mit Ziegeln? Und was ist vor allem mit Gold?»
«Niemand wird es wagen, Pharao um Gold zu bestehlen», gab Maja aufgeschreckt zurück.
«Wisst Ihr es?», fragte ich ihn knapp.
«Aber erlaubt mir, Gottesvater Eje: Der Schatzmeister Seiner Majestät war schon ein treuer Diener von Osiris Nimuria. Er wachte ebenso ergeben über die Schätze von Osiris Echnaton, und jedermann weiß, dass Ihr und Acha von Jugend an befreundet seid. Ist nicht wenigstens Acha über alle Zweifel erhaben?»
Ich schwieg. Ich schwieg beharrlich, weil ich Maja nicht eine beliebige Antwort geben wollte, die nicht von Herzen kam. Und ich schwieg, weil ich meinem Freund Acha nicht Unrecht zufügen wollte, indem ich es nicht von vornherein ausschloss, dass auch er sich an Pharao bereichert haben könnte.
Nach meinem Gespräch mit Maja erinnerte ich mich des Sarges Echnatons. Dessen auffällig dunkles und offenbar sehr reines Gold hatte mich damals in seinen Bann gezogen, und so beschloss ich, mit Nassib die Goldschmiedewerkstätten des Palastes zu besuchen. Es war natürlich nicht allein die Reinheit jenes Goldes, die mich neugierig gemacht hatte, auch ging esmir weniger darum, Tutanchaton die Werkstätten zu zeigen, vielmehr wollte ich auf diesem Weg etwas über die Lieferungen aus den Goldgruben in der östlichen Wüste und aus Nubien in Erfahrung bringen, ohne deswegen Acha offen ansprechen zu müssen.
Obwohl ich schon so viele Jahre zu den engsten Vertrauten unserer Herrscher zählte, hatte ich noch nie die Werkstätten, in welchen Gold geschmolzen wurde, betreten. Sie lagen im Ostflügel des Stadtpalastes, eingerahmt von hohen und mächtigen Mauern, schwer bewacht von Soldaten der Leibgarde, und waren nur durch einen fensterlosen, von Fackeln erleuchteten Gang zu erreichen. Die Schmelzmeister
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