Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Gottesvater Eje, denn ich habe mich immer nur meiner Arbeit gewidmet. Doch ich habe Augen und Ohren, und ich hoffe, dass ich noch heute über einen klaren Verstand verfüge. Eure Tochter, unsere Königin, wurde ermordet. Wie ihre Kinder auch. Ihr wisst, wie es ist, wenn man vierzig Jahre an ein und derselben Stelle gearbeitet hat: Ich erfuhr auch noch Jahre nach Verlassen der Werkstätte Dinge, von denen ich Euch heute nicht mehr sagen kann, woher ich sie erfahren habe. So weiß ich, dass Eure Tochter wenige Wochen vor ihrem Ende festgestellt hat, dass die MengenGold, die aus den Werkstätten kamen, von Jahr zu Jahr weniger wurden. Sie befahl, der Sache nachzugehen, und wenig später waren sie alle tot. Usermonth und einige andere, deren Namen ich nicht kenne, wollten schon Jahre vorher mein Wissen ausnützen, um Pharao zu betrügen. Durch das Verfahren, das ich entdeckt hatte, ging etwa ein Drittel der ursprünglichen Menge des unreinen Goldes verloren, indem sein Silberanteil fast völlig verschwand. Usermonth aber wollte Pharao einreden, dass der Schwund nicht nur ein Drittel, sondern die Hälfte betrug, und wollte die so übrig bleibende Menge Goldes beiseite schaffen. Dem habe ich mich aber verweigert. Nur deswegen bin ich gegangen. Mein Alter war doch nur ein Vorwand.»
«Und was haben sie dann gemacht? Denn Euer Verfahren ist ihnen ja offenbar nicht bekannt.»
«Das kann ich Euch nicht sagen, Gottesvater Eje. Diese Antwort» – er zögerte ein wenig, ehe er weitersprach –, «diese Antwort muss Euch ein anderer geben. Ihr werdet nicht lange brauchen, um sie alle aufzuspüren. Unrechtmäßiger Reichtum», sagte er jetzt leise und beugte sich ein wenig zu mir herüber, «unrechtmäßiger Reichtum macht leichtsinnig!»
«Es gibt da noch ein Sprichwort, Amunmessu: Wer lügt, braucht ein gutes Gedächtnis. Ich werde sie herausfinden, glaubt mir das. Und um Euch selbst macht Euch keine Sorgen. Ihr werdet in Frieden sterben. Bis alles vorüber ist, lasse ich Euch unauffällig bewachen.»
Dann bedankte ich mich bei Amunmessu für die Erfrischung und für seine wertvollen Auskünfte.
«In zwei Monaten lasse ich Euch nach Waset in Eure alte Werkstatt bringen», sagte ich zu ihm, als ich bereits auf meinem Wagen stand, «und mir Eure Künste zeigen. Euer junger Pharao hat es verdient, Gold von dieser Güte zu besitzen!»
Amunmessu breitete die Arme ein wenig aus und blickte kurz zum Himmel. Dann sagte er: «Wenn es der Götter Wille ist: gerne!»
Es war nicht viel, was ich von Amunmessu erfahren hatte, doch es konnte durchaus sein, dass er mir den entscheidenden Hinweis gegeben hatte. Seine Weigerung, mir weitere Namen zu nennen, hatte gewiss triftige Gründe. Entweder fürchtete er die grausame Rache mächtiger Männer, oder er wollte mir einen Wink geben: mit Namen vorsichtig umzugehen. Der fürchterlichste Verdacht, den es für mich geben konnte, war der, dass Acha selbst verstrickt oder gar die treibende Kraft war. Acha! Mein ältester noch lebender Freund und Wegbegleiter seit so vielen Jahren! Ich mochte es mir gar nicht ausdenken. Doch was sollte ich tun?
Während unserer Rückfahrt nach Waset dachte ich unentwegt darüber nach, wie ich weiter vorgehen sollte. Haremhab konnte ich nicht um Rat bitten, denn er war irgendwo weit weg im Norden, und ich hielt es für viel zu gefährlich, ihn durch einen Brief über mein Vorhaben zu unterrichten. Waset war offenbar wieder zu einem Schlangennest geworden, in dem man niemandem trauen konnte, nicht einmal einem Offizier der Leibgarde, den ich als Boten zu Haremhab hätte schicken müssen. Und wenn es doch die Diener Amuns waren, die hinter der Ermordung meiner Tochter steckten? Mir blieb nichts anderes übrig, als eine einsame Entscheidung zu treffen und zu hoffen, dass es die richtige sein würde.
Mein anfängliches Misstrauen gegenüber Usermonth, welches beim Anblick seines Helfers Sobekhotep zur Gewissheit geworden war, dass es in der Werkstatt nicht mit rechten Dingen zuging, wurde durch Amunmessu bestätigt. Die alles entscheidende Frage war: Hatten sie nach dem Weggang des Alten Schmelzmeisters ihre Herrscher bestohlen oder nicht? Sie hatten, dessen war ich mir sicher. Dass sie sämtliche Eingangs- und Ausgangslisten, deren man in Waset habhaft werden konnte, gefälscht hatten, stand für mich außer Frage. Aber wie stand es um die Ausgangslisten in den einzelnen Goldgruben vom südlichen Nubien bis hinauf in den Norden der östlichen Wüste? Dort
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