Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
lag der Schlüssel, um den Betrug aufzudecken. Freilich bestand dieMöglichkeit, dass Usermonth und Sobekhotep, oder wer immer in diesen Verrat verwickelt war, auch dort die Listen fälschen ließen. Andererseits hätten sie sich damit viele, vermutlich zu viele Mitwisser geschaffen. Ich musste die Listen aus mindestens drei oder vier Goldgruben in Händen haben, um sie zu überführen, denn könnte ich nur in einem oder in zwei Fällen Unstimmigkeiten nachweisen, könnten sie behaupten, es habe sich um bedauerliche Versehen gehandelt.
Am anderen Morgen verließen vier Trupps zu je zwölf Mann, allesamt Offiziere meiner Streitwagentruppe, im Morgengrauen und in geheimem Auftrag Waset und brachen zu vier unterschiedlichen Goldgruben auf. Niemand außer mir und diesen Soldaten wusste, dass sie Waset verließen. Sie trugen das Siegel Pharaos und meinen Befehl bei sich. Er lautete: Beschlagnahmung sämtlicher vorhandenen Ausgangslisten, notfalls mit Gewalt, danach Treffen aller vier Gruppen an einem geheimen Ort in der östlichen Wüste. Sollte ein Trupp nicht zum abgesprochenen Zeitpunkt an diesem Ort eintreffen, machen sich zwei Trupps auf den Weg, um den fehlenden aufzuspüren, der dritte bleibt solange zurück. Erst wenn alle vier Trupps vollzählig sind, ist ihnen die Rückkehr nach Waset gestattet.
Ich hatte errechnet, dass sie in fünf Tagen wieder nach Waset zurückgekehrt sein müssten. Zur Vorsicht gab ich noch einen Tag dazu.
Am Abend des vierten Tages, nachdem die Soldaten die Stadt verlassen hatten, weihte ich Tutanchaton in mein Vorhaben ein. Die Sonne war schon untergegangen, und ich saß mit ihm und Mahu auf der Terrasse des Stadtpalastes. Es herrschte eine fröhliche Ausgelassenheit, denn Mahu und ich versuchten zunächst, uns gegenseitig mit aufregenden Geschichten aus unserer Kindheit zu übertrumpfen. Ich kam jedoch mit meinen eher langweiligen und harmlosen Palastgeschichten nicht gegen Mahu an. Er war ein Kind niederer Herkunft gewesen und verbrachte die Tage seiner Kindheit mehr auf der Straße und im Hafen alsin abgeschirmten Gärten, wohl behüteten Stuben und in Unterrichtsräumen. So erzählte er von baufälligen Holzschuppen einfacher Leute, die er und seine Kumpane von einst angezündet hatten, sodass sie bis auf das letzte Brett niedergebrannt waren. Von Schlägereien, welche die Kinder des Hafenviertels, der Oststadt und der Südstadt untereinander ausgetragen hatten, und stolz zeigte Mahu mit hochgezogener Lippe auf die Lücke in seinem Gebiss, wo sich einmal der obere rechte Eckzahn befunden hatte.
«Der liegt noch heute am Grund des Hafenbeckens», sagte er zu Nassib, der dem Polizeiobersten mit großen Augen und ehrfurchtsvoll zuhörte.
«Wie bist du dann Polizist geworden, wenn du so viel angestellt hast?», fragte Nassib erstaunt.
«Wer sollte besser geeignet sein als ich? Ich kannte jeden in dieser Stadt. Und wenn es einen gab, den ich noch nicht kannte, dann lernte ich ihn zwei Tage später kennen. Aber irgendwann kam ich in das Alter, in dem ich mich entscheiden musste, wie mein Leben weitergehen sollte. Ich hatte einmal zugesehen, wie einem Mann – er hieß Ramose, das weiß ich noch wie heute – eine Hand abgehackt wurde, weil er auf dem Markt einen Ledergürtel gestohlen hatte. An diesem Tag wechselte ich die Seiten. Seitdem bin ich Polizist und mit den Schlichen des Bösen noch immer bestens vertraut.»
«Hast du einmal einen deiner Freunde von früher verhaftet und eingesperrt?», wollte Nassib wissen.
Ich sah Mahu aufmerksam an, und er wusste nur zu gut, dass ich auf diese Antwort besonders gespannt war.
«Nein, Majestät», antwortete Mahu bedächtig. «In diese missliche Lage bin ich zwar einmal geraten, und ich wusste, dass jenem Mann unweigerlich die Todesstrafe drohte. Aber ein Unglücksfall kam dem Urteil des Wesirs zuvor: Er stürzte vom Baugerüst eines Torturms und war auf der Stelle tot.»
«Wegen eines vielleicht ähnlich schlimmen Vorgangs müssen wir heute Abend auch mit dir reden, Tutanchaton», sagte ichund rückte mit meinem Stuhl etwas näher an den Jungen heran, damit uns sonst niemand hören konnte.
Ich berichtete meinem jungen Herrscher alles, was wir in den letzten Tagen in Erfahrung gebracht hatten. Ich verschwieg ihm dabei nicht, dass vielleicht auch Acha, mein ältester Freund, in den Betrug verstrickt sein könnte und dass in diesem Fall auch für ihn das Urteil nicht anders lauten könnte als für alle anderen Mittäter auch.
«Es
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