Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
abtun», entgegnete ich ihm und sah ihn dabei durchdringend an. «Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die werden nicht einfach nur so erfunden.»
«Es ist gut, Eje!», fuhr er mich zu meiner Überraschung aufbrausend an. Ich erkannte keinen Grund für seinen barschen Ton, beließ es aber dabei und verneigte mich demütig vor ihm, wie es Höflinge gewöhnt sind, zu tun.
Er spürte offenbar, dass er zu weit gegangen war, und sagte in versöhnlichem Ton: «Du kannst dem Geheimnis der Tränen ruhig nachgehen, wo und solange du willst. Es soll dir jede Tür geöffnet und jede Hilfe zuteil werden, die du benötigst.»
Und scherzhaft fügte er beim Hinausgehen hinzu: «Und wenn du eine gefunden hast, mag dir der Thron Ägyptens gehören!»
Tutanchamun kehrte nie wieder in jene Gewölbe des Wissens und der Weisheit zurück.
Unser junger Herrscher war noch nicht reif dafür, in die Tiefen geheimen Wissens hinabzusteigen und die verschlungenen Pfade unserer Geschichte zu beschreiten. Manchmal glaubte ich zuwissen, dass er es niemals tun würde. Er war ohne jeden Zweifel gewissenhaft und ein leuchtendes Beispiel in allem, was er tat, und in vielerlei Hinsicht erinnerte er mich an den Bruder seines Vaters, den früh verstorbenen Prinzen Thutmosis. Aber er war gewiss nicht dazu geschaffen, ein zweiter Echnaton zu werden.
In jeder freien Stunde, die die Bürde des heiligen Amtes ihm ließ, zog es ihn auf seinem Streitwagen hinaus in die Wüste, wo er Strauße ohne Zahl erlegte. Noch immer waren ihm Löwen und Wildstiere gleichgültig, denn nach seiner Meinung konnte selbst der schlechteste Bogenschütze solch große und behäbige Ziele nicht verfehlen, mochten sie auch noch so gefährlich sein. Tutanchamun aber erlangte im Bogenschießen Fähigkeiten wie kein Zweiter.
Es war am frühen Nachmittag, als die Hitze am größten war. Ich kam gerade von Maja und wollte mich in die Kühle des Palastinneren zurückziehen, als fünf Streitwagen in den Hof vor der Freitreppe, welche ich gerade hinaufstieg, rasten. Als sich der Staub wieder gelegt hatte, erkannte ich auf zweien von ihnen eine Anzahl toter Strauße. Wortlos strahlte Nassib zu mir herauf und streichelte den Hals des linken Hengstes, seines Lieblingspferdes, während Räuber laut kläffend um die beiden Wagen mit der Beute herumlief. Den Lobpreis seiner Taten überließ Pharao Amenemhet.
«Stellt Euch vor, Gottesvater Eje», begann Amenemhet aufgeregt und laut mit seinem Bericht. «Wir stießen mit drei Streitwagen auf eine kleine Herde von acht Straußen. Wie es auch unsere Absicht war, gelang es uns, die Herde zu teilen. Während zwei Wagen ständig fünf der Vögel umkreisten, damit sie nicht entkommen konnten, verfolgte der Gute Gott, er lebe, sei heil und gesund, die beiden anderen. Obwohl sie in gewaltigen Schritten um ihr Leben rannten, dass die Pferde alle Mühe hatten, ihnen zu folgen, erlegte Seine Majestät in wenigen Augenblicken beide Vögel und durchbohrte einem von ihnen sogar den Hals! Habt Ihr gehört, Gottesvater: Er durchschoss seinen Hals!» Und dabei hielt er mir seinen ausgestreckten Unterarmentgegen, um mir zu verdeutlichen, dass der Hals dieser Vögel kaum dicker war.
«Kein Bogenschütze in den Beiden Ländern, und schon gar nicht in Mitanni oder in Hattuscha, kann es in dieser Kunst mit unserem Herrscher aufnehmen!»
«Ich nehme an, dass die anderen fünf Strauße ein ähnliches Schicksal ereilt hat?», fragte ich in den Hof hinab. Amenemhet strahlte über das ganze Gesicht, zeigte auf die Wagen mit der Beute und rief: «Ihr könnt Euch selbst davon überzeugen. Bald hängen sie in der Palastküche!»
«Mindestens einen von ihnen sehe ich heute ohnehin noch», antwortete ich ihm und ging lachend weiter. Ich sah, wie Amenemhet seinen Herrscher ratlos ansah.
«Zum Abendessen», fügte ich hinzu.
Nassib winkte mit der Rechten ab, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Wahrscheinlich hatte ihn meine Gleichgültigkeit über seinen Jagderfolg sehr gekränkt.
Ich machte mein offenbar frevelhaftes Verhalten, das ich nur mit meiner Eile entschuldigen konnte, wieder wett, indem ich Nassib im Lauf des Abends gleich zweimal bat, mir das Ende der acht Strauße in allen Einzelheiten zu schildern. Auch wenn es wie schon bei Amenophis immer dieselben Abläufe waren, die ich mir anhörte – lediglich die Tiere wechselten in den Geschichten –, bereitete es mir doch immer wieder Vergnügen, Jägern zuzuhören. Vor allem Tutanchamun,
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