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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Ahmose?»
    Ich gab ihm darauf keine Antwort. Hätte ich ihm sagen sollen, dass es einfach nur mein Ehrgeiz war, der mich antrieb?
    Er nahm mein Schweigen demütig hin. Ohne mich noch einmal nach der Ursache meines Strebens zu fragen, unterstützte er mich bei meiner Suche. Es dauerte nicht lange, bis der erste gelblichbraune Papyrus, der mich dem Geheimnis näher bringen sollte, vor uns auf dem Tisch lag. Auf ihm waren noch einmal die ganze Geschichte vom Mord des Seth an seinem Bruder Osiris und die Trauer des Göttervaters Re in allen ihren Einzelheiten aufgezeichnet.
    «Wir wissen nicht, wer dies aufgeschrieben hat», sagte Sethi bedächtig, und nachdem ich das Schriftstück mehrfach gelesen hatte, rollte er es wieder zusammen und legte es beiseite.
    «Nach den Schriftzeichen zu urteilen, stammt es aus der Zeit von Pharao Sahu-Re und wäre damit mehr als tausend Jahre alt. Danach verlieren sich alle Spuren und Hinweise auf die Tränen bis zu den Tagen des ersten Sesostris. Er nahm ein anderes Schriftstück, entrollte es und begann zu lesen. Seine wohltönende tiefe Stimme verlieh dem Augenblick und dem, was er mir vorlas, etwas sehr Andächtiges.
    «Kostbarer sind sie als alles, was Pharao besitzt. Kostbarer als das Fleisch der Götter, denn kein Gott hat unter solchen Schmerzen Tränen vergossen wie Re. Dort, wo der Stier dich bedroht, erfasse sein Horn! Wo das Krokodil geil das Flusspferd besteigt, berühre den Arm der Thoeris und lasse ihn nicht mehr los. Dort, wo der Falke über dem Haupt des Löwen schwebt, steige hinab in die Tiefe. Und wo Horus den Bogen spannt, durchbohre seine Brust! Im grünen Land steht der Stier. Das Krokodil begattet Thoeris an der Pforte zur Ewigkeit. Tod ist dort nur, wo der Falke über dem Löwen kreischt. Und Tränen sind unter den Krallen des göttlichen Kindes, das über Ägypten regiert immer und ewig. Mit der Hand des Todes wirst du sie ergreifen, und der Knochenbrecher lauert dir auf. Der Falkengott selbst wird aber den erretten, der ihn verflucht hat. Und ewig wird er lieben, von dem er einst gehasst wurde.»
    Sethi sah lange auf den Papyrus und schwieg.
    «Wenn Ihr den Sinn dieser Schrift verstanden habt, seid Ihr Eurem Ziel vielleicht einen Schritt näher.»
    «Wisst Ihr denn, wann die Träne, die ihr Priester von On einmal besessen habt, hierher gelangte?»
    Sethi schüttelte den Kopf.
    «Wir besitzen keinen anderen Hinweis auf die Tränen des Re als diese beiden Schriftrollen, Gottesvater Eje.»
    Ich wusste, dass man es in On nicht gern sah, wenn man von ihren Papyri Abschriften anfertigte, denn mit jeder dieser Abschriften verlor ihr Schatz etwas von seiner Einzigartigkeit. Gleichwohl gestattete Sethi es mir.
    Im selbstsicheren Gefühl, die Tränen des Re bald gefunden zu haben, verließ ich für diesen Tag On. Die Hinweise in der Schrift auf die Götter unseres Landes waren eindeutig. Was konnte der Ort, an dem man den Stier zu suchen hatte, anderes sein als die Grabstätte des Apis-Stieres in Saqqara? Den Krokodilsgott Sobek fand man im Fajum. In Djeba wurde Horus verehrt. Diese drei Heiligtümer würden mir den Weg zu den Tränen weisen, dessen war ich mir gewiss. Es galt nur noch, einen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen, damit ich daraus das Ziel ableiten konnte. Ich war mit mir zufrieden.
     
    Tutanchamun betrieb währenddessen Forschungen ganz eigener Art, und er verstand es auf das Vorzüglichste, mich mit seinen Ergebnissen bekannt zu machen. Ich war gerade aus On zurückgekehrt und wiederholte auf der Terrasse des Palastes immer und immer wieder den Text der geheimnisvollen Schriftrolle, denn ich wollte ihn auswendig können, um nicht immer die Schriftrolle bei mir haben zu müssen.
    «Kostbarer sind sie als alles, was Pharao besitzt», begann ich erneut zu lesen, als mir auffiel, dass Nassib noch nicht aus dem Schilf zurückgekehrt war, obwohl es bereits dämmerte.
    «Kostbarer als das Fleisch der Götter, denn kein Gott hat unter solchen Schmerzen Tränen vergossen wie Re.»
    Irgendetwas raschelte im Garten unter mir.
    «…   unter solchen Schmerzen Tränen vergossen wie Re», wiederholte ich noch einmal.
    «Dort, wo der Stier bedroht wird, erfasse sein Horn», flüsterte ich zögerlicher, denn immer unheimlicher wurde mir das, was sich dort unten tat, ohne dass ich sagen konnte, was es denn war. Ich hatte mich gerade wieder zurückgelehnt und den Papyrus vor eine Lampe gehalten, da geschah es: ein Schreien und Quieken, so laut und entsetzlich, wie

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