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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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mussteer sich mehr als einmal anhören. Aber als er eines Tages zu mir sagte: «Es ist ja gut, Eje. Du hast hier deine Zeit verlebt, jetzt verlebe ich meine hier», wusste ich, dass nun die Zeit gekommen war, da er sich mehr und mehr von mir abnabeln und selbständiger werden würde. Aber den Wunsch, mit mir nach On zu kommen, konnte er mir nicht abschlagen.
    Das Heiligtum des Re in On hatte nichts von seiner Beschaulichkeit verloren. Schon immer, wenn ich hierher kam, hatte ich den Eindruck, als hätte es diesen Tempel von Anbeginn der Welt an gegeben. Die gewaltigen Mauern strahlten Ruhe und Würde aus, und sie verhießen demjenigen, der wusste, was sein Inneres barg, alles Wissen und alle Weisheit der Erde. Was den Reichtum an Wissen betraf, gab es keinen anderen Ort, der es On hätte gleichtun können, nicht Waset und nicht Babylon, nicht Byblos und schon gar nicht Hattuscha. Die Hüter des größten und kostbarsten Schatzes der Menschheit waren schweigsame Männer.
    «Es wird so viel geredet und nichts gesagt. Wir ziehen es vor, unsere Schriften sprechen zu lassen», gab Sethi, der Erste Sehende des Re, jedem zur Antwort, der ihn auf die Wortkargheit der Priester ansprach.
    Sethi war noch jung, so wie ein erstaunlich großer Teil seiner Priesterschaft aus jungen Männern bestand. Der Erste Sehende war kaum älter als dreißig Jahre. Er war eher klein von Wuchs und von rundlicher Figur. Der Anblick seines Gesichts erheiterte nicht nur wegen der weit abstehenden, großen Ohren, die umso mehr auffielen, als der ungleich gewachsene Schädel von Natur aus völlig unbehaart war, was ihn glänzen ließ wie ein nasses Ei. Auch die Augenbrauen fehlten gänzlich, sodass die dunkelgrünen und unruhig umherhuschenden Augen die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters wie Smaragde auf sich zogen. Und so schien es nur folgerichtig, dass Sethis Nase klein und unscheinbar und seine Lippen schmal und blass waren, um den Augen nichts von ihrer Anziehungskraft zu nehmen. Es war angenehm, seiner tiefen und wohl klingenden Stimme zuzuhören.Tutanchamun empfand das offenbar auch so, denn er mühte sich merklich, seiner sich gelegentlich überschlagenden Stimme einen möglichst mannhaften Klang zu geben.
    «Gottesvater Eje schwärmt in den höchsten Tönen von dem Wissen, das Ihr in Euren Mauern bewahrt», sagte der König, als wir das alte Gewölbe erreicht hatten, und er blickte suchend um sich, als gelte es, ein besonders kostbares Juwel zu entdecken. «Kein Schatz der Erde soll dem, welchen Ihr behütet, gleichkommen.»
    «Trotz aller Bescheidenheit, die uns Priestern gern nachgesagt wird, muss ich Gottesvater Eje ohne Einschränkung Recht geben. Wir sind fürwahr die Hüter all dessen, was Ägypten seit Beginn des Alten Reichs an Wissenswertem hervorgebracht hat. Bei uns ruhen die Schriften Imhoteps, des Weisesten aller Weisen. Wir verwahren die Abschriften der Totengebete aus den Pyramiden und alles Wissen, das unsere Kundschafter, Soldaten und Händler aus fremden Ländern mitgebracht haben. Die Erkenntnisse der Ärzte aus zwei Jahrtausenden findet Ihr bei uns ebenso wie alles, was wir Ägypter über die Sterne und ihre Bewegungen wissen.» Als wollte sich der Priester zurücknehmen, trat er unauffällig einen Schritt nach hinten in den Schatten einer Säule.
    Tutanchamun ging jetzt schweigend durch den Saal, der nur von einigen Fackeln spärlich erhellt war, bis er vor einer Ebenholztruhe stehen blieb, die vor ihm auf einem Tisch stand.
    «Diese Truhe», sagte Sethi, während Pharao bereits ihren Deckel öffnete, «birgt von jedem der uns bekannten Edelsteine dieser Welt jeweils ein Stück.»
    Nassibs Blick erhellte sich. Er griff in die Truhe und entnahm ihr eine kleine, kaum faustgroße Elfenbeinschatulle. Er wandte sich uns zu und las die Inschrift auf ihrem Deckel: «Rubin», flüsterte er und öffnete die Schatulle. Ein Stein von außerordentlicher Größe und Schönheit glitzerte im Schein der Fackel, unter welche Nassib den Stein jetzt hielt. Er legte ihn zurück und nahm das nächste Kästchen.
    «Opal», sagte er verwundert, und am Klang seiner Stimmeerkannte ich, dass er mit diesem Namen nichts anzufangen wusste. Der milchigweiße Stein fand auch nicht seine Bewunderung, weswegen er ihn wieder zurücklegte, ohne ihn weiter zu beachten. Dann beugte er sich über die Truhe und schob einige der Schatullen in ihrem Inneren hin und her, entnahm die eine oder andere und legte sie ungeöffnet wieder zurück. Ich ahnte, wonach

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