Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
denn er besaß neben seinen erzählerischen Fähigkeiten die Gabe, jeden Handgriff und sogar den Gesichtsausdruck des Jägers nachzuahmen.
«Endlich hatten wir sie auseinander getrieben», berichtete er aufgeregt und zeigte in zwei unterschiedliche Ecken der großen Terrasse, auf welcher wir beisammen saßen. «Ich verfolgte die beiden großen Tiere, die sich nach links absetzen wollten. Als ich nah genug dran war, steckte ich mir einen Pfeil zwischen die Zähne, band die Zügel an meinem Gürtel fest und griff nach meinem Bogen. Dann nahm ich den ersten Pfeil und – sirr!»,rief er laut, während er die Haltung eines Bogenschützen genau nachgeahmt hatte. Dann lachte er hell auf, ergriff seinen Becher und trank einen großen Schluck.
«Den Ersten traf ich wirklich mitten durch den Hals, genau dort, wo ich hingezielt hatte», und er berührte dabei mit dem Finger die Mitte des eigenen Halses. Im selben Augenblick überkam mich eine schreckliche Erinnerung: Ich sah die Bilder jenes Tages, als Amenophis vor fast fünfzig Jahren im Steinbruch von Tura dem Anführer der Grabräuber einen Pfeil durch den Hals schoss, gerade rechtzeitig, bevor der Verbrecher mich niederstach. Ich sah, wie das Blut dieses abstoßenden Mannes aus der Halswunde spritzte, und erinnerte mich des abstoßenden Geräuschs, wie er röchelte und wie das Blut in seiner Kehle gurgelte, ehe er tot in sich zusammensank. Welch grauenvolle Erinnerung!
Doch dann holte mich die Stimme Tutanchamuns wieder zurück: «Den Zweiten wollte ich auf keinen Fall laufen lassen», fuhr er fort und nahm wieder die Haltung eines zielenden Bogenschützen an.
«Sirr – und schon steckte der Pfeil in seiner linken Brust. Er machte keine fünf Schritte mehr, dann lag er da. Ein Prachtstück, sage ich dir, Eje. Seine Stoßfedern stecken schon in meinem Wedel», klärte er mich auf und zeigte zum Wedelträger auf seiner rechten Seite.
«Den anderen sechs Vögeln erging es ähnlich. Acht Strauße an einem Morgen! Das habe ich vorher noch nie geschafft.»
«Geben diese Tiere eigentlich irgendein Geräusch von sich, ehe sie sterben?», fragte ich ihn, und an seinem beinahe fassungslosen Gesichtsausdruck erkannte ich, dass ich wohl eine dumme Frage gestellt hatte. Dann lächelte er überlegen, reckte den Hals ein wenig nach vorne und gab in hohen Tönen ein Geräusch von sich, das so ähnlich klang wie «Ööp, Ööp».
«Mehr bringen sie nicht heraus», fügte er nüchtern hinzu und trank wieder aus einem Alabasterbecher.
«Vielleicht solltest du doch einmal einen Löwen jagen», sagteich. «Dessen Todesschrei lässt dich vermutlich anders erschauern als das erbärmliche Ööp eines Straußen.»
Er sah mich durchdringend und beinahe etwas verächtlich an. Aber ich war mir sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis er mir eines Abends das Gebrüll eines sterbenden Löwen vormachte.
Der Tempel von On, mehr noch dessen Schätze hatten mich in ihren Bann gezogen. Sooft es meine Amtsgeschäfte nur irgendwie zuließen, fuhr ich hinaus zu Sethi und seinen schweigsamen Priestern.
«Seid Ihr Euch sicher, Gottesvater Eje, dass Ihr wirklich das Geheimnis der Tränen des Re lüften wollt?», fragte er mich gleich bei meinem ersten Besuch ohne Tutanchamun und sprach gleich weiter, ohne erst meine Antwort abzuwarten.
«Ich bin mir nicht sicher, ob die Tränen uns Menschen Glück bringen, ob sie ein wirklicher Schatz sind. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum Osiris Thutmosis sie mit in sein Grab genommen hat. Wollte er vielleicht seinen Nachfolger vor einer quälenden Last bewahren? Re hat diese Tränen der Sage nach aus Trauer darüber vergossen, dass Seth seinen Bruder Osiris ermordet hat. Können diese Tränen wirklich den Segen bringen, den Ihr von ihnen erhofft?»
«Ist es nicht immer das höchste Streben des Menschen, das zu erringen, was für ihn fast unerreichbar scheint? Hätte Pharao Chasechemui gedacht, dass unter seinem Nachfolger Djoser die erste Pyramide errichtet werden würde? Hat Pharao Kamose denn geglaubt, dass sein Bruder und Nachfolger Ahmose nicht nur den Kampf gegen die Hyksos siegreich beenden, sondern auch die Beiden Länder wieder vereinen würde?»
Sethi nickte erst zustimmend, dann sagte er: «In all diesen Punkten gebe ich Euch uneingeschränkt Recht, Gottesvater Eje. Aber sagt mir: Was habt Ihr erreicht, wenn Ihr wisst, wo man die Tränen des Re findet? Hättet Ihr damit ein so großes Werk vollbracht wie die Könige Djoser und
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