Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
erhob und einige Schritte ging, geriet er erneut ins Schwanken, und er wäre gewiss gestürzt, wenn ihn nicht ein aufmerksamer Leibdiener am Arm ergriffen und gestützt hätte.
«Sollen wir umkehren, Majestät?», fragte ihn Maja und befahl mit einem Wink, dass man Pharaos Sänfte herbeibrachte.
«Nein, nein», beschwichtigte er auch Maja, und ich sah, dass er sich alle Mühe gab, sich nichts weiter anmerken zu lassen. Gleichwohl war er dankbar, als er wenig später in seiner Sänfte Platz nehmen konnte.
«Du solltest die Sache ernst nehmen und deinen Leibarzt kommen lassen, wenn wir im Palast zurück sind», bat ich ihn und gab mir Mühe, nicht allzu väterlich oder gar rechthaberisch zu klingen.
«Ich bin doch nicht krank», wies er meinen Vorschlag entrüstet zurück. Ich sah, dass es keinen Sinn hatte, weiter auf ihn einzureden, und beließ es dabei.
Der Platz im Westtal hatte seinen Vorstellungen entsprochen, also erteilte er Maja den Auftrag, Pläne vorzubereiten und Vorkehrungen für den Beginn der Arbeiten zu treffen. Als dem Schatzmeister und dem Aufseher aller Arbeiten am Ort der Ewigkeit oblag es Maja auch, für diejenigen Gegenstände zu sorgen, die für eine königliche Bestattung am wichtigstenwaren: die Särge und die Schreine, die sie umgaben, die Kanopenkrüge und ihr Schrein sowie die Totenmaske.
An der Totenmaske Tutanchamuns erkannte man deutlich, welch großen Einfluss die Kunst aus der Zeit Echnatons noch besaß. Die Gesichtszüge des jungen Pharao waren so natürlich, dass man glauben mochte, das Gesicht des wahrhaften, lebendigen Tutanchamun sei mit Blattgold belegt worden. Der schmale Mund mit den leicht aufgeworfenen Lippen war vollkommen getroffen, desgleichen die kleine, wohlgeformte Nase. Die durchstochenen Ohren entsprachen ebenso der Wirklichkeit wie Form und Ausstrahlungskraft der Augen. Das Antlitz Pharaos bestand aus reinem, glatt poliertem Gold. Die Brauen und die Schminkränder um die Augen waren Einlegearbeiten aus tiefblauem Glasfluss, die Augen bestanden aus weißem Quarz und schwarzem Obsidian.
Der geflochtene Zeremonialbart war aus graugrünem Glas gebildet und mit hauchdünnen Goldfäden durchwirkt. Auf dem Nemeskopftuch wechselten Streifen aus blauem Glasfluss mit solchen aus Gold. Auf der Stirn Pharaos ragten Geier und Kobra mit Einlegearbeiten aus Karneol, Lapislazuli, Quarz und Türkis hervor, und auch der mehrreihige Brustkragen prangte in verschiedenen Farben.
«Lässt sich Osiris wirklich so leicht täuschen?», scherzte Tutanchamun, als Maja ihm die Maske zeigte. «Er wird wohl meine Lebenszeit kennen, wenn ich vor ihn trete, und er wird wissen, dass sich in Wirklichkeit ein alter Mann darunter verbirgt.»
«Ewige Jugend verheißt Euch diese Maske im Jenseits, Majestät, so will es unser Glaube», sagte Maja, der die Bemerkung Pharaos ernst genommen hatte, erschrocken.
«Ich weiß es, Maja», beruhigte ihn Tutanchamun. «Ewige Jugend wird mir beschieden sein. Gewiss.»
Es herrschte große Freude im Palast der leuchtenden Sonne und auch bald in ganz Ägypten, denn Meritre erwartete wieder ein Kind. Jedermann bei Hof und besonders die Leibärzte Pharaosunternahmen diesmal alles, damit Meritre geschont wurde, so gut es nur ging. Tutanchamun überhäufte sie mit Zärtlichkeiten und gab sich alle Mühe, möglichst viel Zeit in Ruhe und mit ihr allein zu verbringen.
Doch selbst jetzt, als auch Tutanchamun sich mehr Ruhe gönnte als sonst, wiederholten sich die Schwindelanfälle. Er spielte sie herunter, und damit er keiner fremden Hilfe bedurfte, um nicht zu stürzen, benützte er immer häufiger Gehstöcke. Vor mir konnte er nicht verbergen, weswegen er sie benutzte, doch anderen gegenüber machte er eine Mode daraus. Er ließ sich viele dieser fast vier Ellen langen Stöcke anfertigen, und sie wurden seine ständigen Begleiter. Er fand eine ganz eigene Art, sie zu benutzen: Im Stehen lehnte er seine Schulter an ihr Oberteil, mit seinem rechten Bein umschlang er den Stab, und mit seiner Fußsohle stützte er sich am unteren Ende ab. Damit niemand Verdacht schöpfte, dass Pharao krank war, ließ er sich sogar mit seinen kunstvoll geschnitzten Stöcken abbilden: Man sah ihn damit im Schilfdickicht und bei der Jagd, auf einem Bild stand er in dieser Haltung sogar vor Meritre, die ihm liebevoll eine Blume entgegenhielt.
Ich flehte ihn an, sich endlich den Ärzten anzuvertrauen, doch er lehnte ihre Hilfe nach wie vor ab.
«Nur weil mir hin und wieder
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