Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
schwindelig wird, brauche ich keinen Arzt. Sie schaffen es, mich erst wirklich krank zu machen. Außerdem will ich nicht, dass sich Meritre unnötig Sorgen macht. Ich bin jung und werde bald wieder gesund sein. In ein paar Monaten wird niemand mehr darüber sprechen.»
Die Zeit der Niederkunft Meritres war gekommen. Seit Tagen schon mied ich die Aufgeregtheit des Hofes und hatte mich in meinen Palast jenseits des Flusses zurückgezogen. Ich war selbst aufgeregt und voller Sorge, sodass ich lieber allem aus dem Weg gehen wollte. Tutanchamun sollte sich nur um Meritre kümmern und nicht auch noch um mich alten Mann.
Es war so ruhig in meinem Garten. In wenigen Wochen würde hier wieder alles in voller Blüte stehen. Ich freute mich aufden erfrischenden Duft der Akazien, auf das Rot des Mohns, das an Kraft das Rot des von mir so geliebten Karneol noch bei weitem übertraf. Ich sehnte mich nach den Blüten des Lotos ebenso wie nach dem Lapislazuliblau der Kornblumen. Noch schwiegen die Nachtigallen, denn die Zeit ihrer Liebesgesänge war noch nicht angebrochen. So war es nach Einbruch der Dunkelheit still in meinem Garten, ganz still.
Pharao ist jetzt achtzehn Jahre alt und trifft Vorkehrungen für sein Leben im Jenseits, dachte ich bei mir. Meine Wohnung der Ewigkeit in Achet-Aton war nahezu fertig gestellt. Die wenigen Arbeiten, die es noch auszuführen galt, konnten auch in den siebzig Tagen der Trauer abgeschlossen werden. Aber welche Vorkehrungen hatte ich sonst getroffen? Ich wollte keine treffen, denn dass alles, was ich besaß, einmal Mutnedjemet gehören würde, stand außer Zweifel. Nur die wundervolle Statue Nimurias, vor der ich jetzt schweigend und andächtig stand, sollte Tutanchamun bekommen. Die wenigen Zeilen meines letzten Willens waren schnell niedergeschrieben. Ich übergab sie am nächsten Tag Maja.
Im Palast der leuchtenden Sonne herrschte grenzenlose Trauer, denn das Kind kam tot zur Welt, und auch Meritre hatte die Totgeburt des Mädchens nicht überlebt. Ich wusste keine tröstenden Worte für den Alleingelassenen. Wie in den Tagen, als er noch ein Junge war, lag er an meiner Brust und weinte.
«Bringe ich denn nur Unglück über die Frauen, die mir nahe stehen?», rief er verzweifelt. Ich verstand ihn nur zu gut, war doch schon Kija bei seiner eigenen Geburt gestorben.
«Ich weiß nicht, welches Schicksal dir die Götter noch bestimmt haben. Trauere um Meritre und dein Kind, aber denke daran, dass Ägypten dich braucht! Trauere, aber verzweifle nicht!»
Was sonst hätte ich ihm sagen sollen? Das Einzige, was ich tun konnte, war, bei ihm zu sein. Auch Anchesenamun wich in diesen Tagen nicht von der Seite ihres Bruders. Aber ganzgleich, was wir taten, wir konnten ihn nicht aus seiner Niedergeschlagenheit befreien. Im Gegenteil: Sein Zustand verschlechterte sich mehr und mehr. Immer häufiger versagten ihm die Kräfte, und er verlor das Gleichgewicht. Wenn nicht ein Diener in seiner unmittelbaren Nähe stand, stürzte er hilflos nieder wie einer, der nicht bei Verstand oder der volltrunken war. Und immer öfter kamen zu dem vorhandenen Leiden unsägliche Kopfschmerzen hinzu.
«Ist dir etwas an meiner Sprache aufgefallen?», fragte er mich wenige Wochen nach dem Tod Meritres. Er sah mich mit großen Augen an und wartete auf eine Antwort.
«Was soll mir aufgefallen sein?» Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte.
«Ich bringe manchmal Dinge, die ich sagen will, einfach nicht über die Lippen. Mitten in einem Wort breche ich ab, bringe einen Satz nicht zu Ende. Die Gedanken sind klar in meinem Kopf, aber mein Mund verweigert den Dienst.»
Es stimmte, was er sagte. Mir war das aufgefallen, aber ich war stets der Meinung, dass ihn die Trauer fahrig gemacht hatte und er in seinen Gedanken zerstreut war.
Ich nickte und wiederholte: «Deine Gedanken sind dabei klar? Du weißt, was du sagen willst, bringst es aber nicht fertig?»
«Ja, wie ich es dir sagte. Ich will …», dann stockte er und schwieg. Er bewegte zwar die Lippen und sah mich verzweifelt an, aber er schwieg für einen Augenblick.
«So wie jetzt eben», sprudelte es plötzlich wieder aus ihm heraus.
«Rede mit niemandem darüber!», bat ich ihn. «Du darfst dich niemandem anvertrauen. Ich selbst werde nur mit Tutu darüber sprechen.»
Ich machte mir große Sorgen, dass man ihn für wahnsinnig halten oder für besessen erklären würde. Bei den klaren Gedanken, die er äußerte, schloss ich das für mich aus.
Tutu
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