Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
war ein erfahrener Mann, der schon Echnaton und Nofretete als Leibarzt gedient hatte. Er kannte Tutanchamun von Kindheit an, und ich wusste um seine Verschwiegenheit. Nichts wäre jetzt schädlicher gewesen, als hätte man in den Beiden Ländern von dem Besorgnis erregenden Zustand Pharaos erfahren. Schon gar nicht wollte ich, dass Haremhab irgendetwas erfuhr. Er war mir zu unberechenbar. Ich konnte nicht ausschließen, dass er die Krankheit Tutanchamuns zum Vorwand nehmen würde, die Macht ein für alle Mal an sich zu reißen.
Tutu war beinahe sechzig Jahre alt. Er hatte kurz geschorenes Haar und kleine, leicht abstehende Ohren. Sein Körper war kräftig und seine Sprache klar und gewählt. Er war einer von jenen Ärzten, die sich lieber dreimal über eine Krankheit Gedanken machen, ehe sie einen zu frühzeitigen Schluss ziehen und den Kranken falsch behandeln.
Ich musste ihm von allem, was ich in den letzten Monaten an Tutanchamun beobachtet hatte, in allen Einzelheiten berichten. Immer wieder stellte er mir Fragen und ließ mich vieles noch einmal schildern.
«Leidet er an Fieber?», fragte er mich schließlich.
«Mir fiel nichts auf. Ich sah aber bislang auch keinen Anlass, ihn danach zu fragen oder ihn abzufühlen. Das müsstest du selbst feststellen. Er ist jetzt auch endlich bereit, sich von dir untersuchen zu lassen.»
Tutu sah mich mit ernstem Gesicht an und sagte: «Was du mir geschildert hast, gefällt mir nicht, Eje. Hoffentlich bleibt mir die Zeit, ihm zu helfen.»
«Um eines bitte ich dich aber», sagte ich im Hinausgehen zu Tutu. «Wenn du eine schwere Krankheit feststellst, die man nicht behandeln kann, sage ihm kein Wort davon. Er hat in den letzten Wochen so Schreckliches durchlitten. Ich will nicht, dass er ganz verzweifelt.»
Er gab mir sein Wort darauf.
Tutu gab sich mit der Untersuchung größte Mühe. Wie zuvormich, so befragte er jetzt Pharao nach allen Beschwerden seit jenem Tag, als er den ersten Schwächeanfall erlitten hatte.
«Es ist nicht einfach zu beschreiben. Es war, als würde sich plötzlich vor meinen Augen eine Nebelwand bilden, die es mir unmöglich machte, mich zu orientieren. Ich wusste nicht mehr, wo links und rechts und wo oben und unten war, und spürte einen nie gekannten Druck in meinem Kopf, als wäre da etwas, was nicht hineingehörte», sagte Tutanchamun langsam und nachdenklich.
«Diese Schwindelanfälle wurden weniger, nachdem mich Eje gebeten hatte, mich etwas zu erholen. Doch bald kamen sie wieder und in kürzeren Abständen», fuhr er fort.
«Ihr hattet davon gesprochen, Majestät, dass Ihr nicht mehr richtig sprechen konntet. Wie habt Ihr das empfunden?»
«Es war zweierlei: Einmal merkte ich, dass ich einzelne Worte nicht mehr vollständig oder ungenau aussprach. Ich hatte von meiner eigenen Sprache den Eindruck, dass sie oberflächlich, ja schlampig war. Zum anderen versagte mir meine Zunge immer häufiger den Dienst. Ich wollte etwas sagen, wusste jedes Wort, das ich aussprechen wollte, aber ich war unfähig, mit dem Sprechen zu beginnen.»
Tutu sah dem Kranken aufmerksam ins Gesicht, als erhoffte er sich von den Augen Pharaos einen Hinweis.
«Und die Schmerzen?», ließ der Arzt nicht locker. «Welcher Art sind die Schmerzen, Majestät? Und wann treten sie auf?»
«Wenn ich ehrlich sein soll, lebe ich schon seit Wochen nicht mehr ohne Schmerzen. Am stärksten spüre ich ihn hier hinten, rechts», und dabei zeigte er auf eine Stelle hinter seinem rechten Ohr.
Tutu erhob sich und stellte sich hinter Tutanchamun. Mit beiden Händen befühlte er den gesamten Kopf des Kranken. Hier und da drückte er etwas fester mit dem Daumen gegen eine bestimmte Stelle des Kopfes und fragte: «Verspürt Ihr hier Schmerzen?», um sogleich fortzufahren, wenn Pharao die Frage verneinte.
«Habt Ihr einmal vor Eurem ersten Schwächeanfall einen Schlag gegen den Kopf bekommen oder Euch gestoßen? Im Stall, bei der Jagd oder irgendwo sonst?»
Tutanchamun schüttelte verneinend den Kopf.
«Könnt Ihr Euch erinnern, dass Ihr zur selben Zeit von irgendeinem Tier gestochen oder gebissen worden seid?»
«Nein», antwortete er knapp. «Nicht ein einziger Mückenstich. Zu meinem Glück mögen Mücken mich nicht. Sonst würde ich die Jagd im Schilf nicht überleben», scherzte er.
Tutu beendete die Untersuchung und sagte: «Wir müssen noch ein paar Tage abwarten. Ich kann mir noch kein klares Bild machen. Ich werde Euch aber eine Arznei geben, die wenigstens Eure
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