Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
sich noch nie begegnet waren. Oftmals neckten wir uns auch nicht nur im Spaß. Doch wenn einer von uns den anderen wirklich brauchte, waren wir verschworen wie Krieger, die Rücken an Rücken kämpften.
Wie viele meiner Weggefährten ruhten jetzt schon in Häusern der Ewigkeit! Wie vielen Trauerzügen war ich in meinem Leben schon gefolgt, und wie oft hatte mich dabei die Ahnung begleitet, dass dies der letzte sein könnte, dem ich als Lebender angehören würde. Der Tod vieler meiner Freunde hatte mich im Lauf der Jahre einsamer gemacht. Jetzt war ich einer der Letzten, der aus meiner eigenen Generation noch da war. Abgesehen von entfernten Verwandten meines Vaters in Achmim, bestand meine Familie nur noch aus meinen Töchtern Mutnedjemet und Nofretete und den Enkelkindern.
Nein, in Wirklichkeit bestand sie nur noch aus Tutanchaton und mir. Denn Rechmire, der Sohn Aper-els, hatte wenige Wochen vor Tejes Tod meine Tochter Mutnedjemet geheiratet und war mit ihr nach Waset gezogen, weil ihn Nofretete zum Vorsteher aller Steinbrüche Ihrer Majestät ernannt hatte. So war ich ein alter, übrig gebliebener Mann geworden, dessen einzige Aufgabe nur noch darin bestand, Tutanchaton so lange wie möglich zu beschützen und ihm dabei so viel meiner Erfahrung und meines Wissens zu vermitteln, wie ich nur konnte.
In diesen Tagen wurde für mich und für manch anderen offenbar, welch mächtige Säule im Staatsgefüge der Beiden Länder meine Schwester gewesen war. Es entstand in der Stadt eine Unruhe, die ich nur nach dem Tod Nimurias und nach dem Tod Echnatons verspürt hatte. Gewiss, nicht so heftig, wie es das Beben nach dem Tod meines Freundes Amenophis gewesen war, und auch nicht so unheimlich verunsichernd wie nach dem Selbstmord Echnatons. Doch viele fragten sich, wer jetzt all jene Aufgaben wahrnehmen würde, die Teje schon zu Lebzeiten ihres Gemahls mit der Gründlichkeit und der Zuverlässigkeit eines Wesirs erfüllt hatte, allem voran die Pflege der freundschaftlichen Bindungen zu den Fremdländern – sofern es überhaupt noch Verbindungen gab.
Und wer, fragte ich mich, würde jetzt das heimliche Bindeglied zu den über das ganze Land verstreuten Priestern des alten Glaubens, vor allem zu den Priestern des Amun, sein? Es gab sie noch immer, und es war gut, dass Teje feine, geheime Fäden zu ihnen gesponnen hatte, um ihnen nicht für immer die Hoffnung auf eine Rückkehr zu nehmen und um so einen Aufruhr zu verhindern, den sie ohne diese Hoffnung gewiss nach und nach entfacht haben würden.
Ich brauchte nicht lange zu warten, bis mir ein anderer all diese Fragen stellte, denn es gab einen Mann, den sie offenbar ebenso quälten wie mich: Haremhab.
Haremhab war schon seit langem der mächtigste Mann von Unterägypten. Seit den Tagen Echnatons, da er nach Men-nefer geschickt worden war, um Pharaos Truppen im Norden anzuführen, hatte er – von den meisten unbemerkt – mehr Macht an sich gerissen, als es seine Stellung als General der Streitkräfte hätte vermuten lassen. Er blieb dabei weitgehend unbeachtet, denn die Augen Ägyptens und der übrigen Welt waren immer nur auf Waset und Achet-Aton gerichtet. Nur eines war Haremhab über all die Jahre hinweg verwehrt geblieben: seinen Mut und die Kampfkraft seiner Truppen unter Beweis stellen zu dürfen. Dies hatte ihn verbittert.
Der General verfügte offenbar über ein straff geordnetes und gehorsames Netz von Zuträgern, denn er hatte vom Tod meiner Schwester schneller erfahren, als ich es für möglich gehalten hätte. Das löste in mir aber weniger Besorgnis oder Neid aus, sondern vielmehr ein gewisses Maß an Anerkennung, zeigte es mir doch, dass er ähnlich veranlagt war wie ich. Er hatte sein Kommen durch einen vorauseilenden Boten ankündigen lassen. Ich hielt es für angemessen, den General im Hafen zu empfangen und nicht erst in meinem Palast. Ich hatte lange darüber nachgedacht, ob ich Tutanchaton zum Hafen mitnehmen sollte, allein um die Haltung Haremhabs gegenüber dem Jungen auf die Probe zu stellen. Denn nur zu gern hätte ich gewusst, ob er den Sohn Echnatons mit aller Ehrerbietung begrüßte oder ob er es vorgezogen hätte, ihn zu übergehen, damit er nicht von Nofretete zur Rechenschaft gezogen werden konnte. So hielt ich es für klüger, Haremhab ein offenes Bekenntnis für oder gegen meinen Schützling zu ersparen, und ließ Nassib unter der Aufsicht meines Dieners Ipu in meinem Palast zurück.
Haremhab wäre kein wirklicher General
Weitere Kostenlose Bücher