Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
viel Schmerz hatte erfahren müssen, war ihm vor diesem Besuch sehr bang gewesen. Ohne irgendetwas zu sagen, lief Nassib zu Teje, beugte sich über sie, nahm sie in seine Arme und weinte.
«Du musst um mich nicht weinen, mein Junge. Wer schon sieben Jahre alt ist, weint nicht mehr.» Teje meinte das gewiss ehrlich.
«Du könntest Teje erzählen, wie wir beide gestern Wagenrennen gefahren sind. Das will sie bestimmt genau wissen», sagte ich, stand auf und ging die wenigen Schritte zum Fenster.
Nassib wischte sich schnell die Tränen von den Wangen, setzte sich auf die Bettkante und begann zu erzählen. Er gab sich wirklich größte Mühe, alles, was er erlebt hatte, genau zu berichten. Ich sah hinaus in Tejes Garten. Er war eine Welt für sich. Wer Teje kannte, wusste, dass dies nur ihr Garten sein konnte. Hier gab es nicht das gewollte Durcheinander wuchernden Jasmins, altehrwürdiger Palmen und prahlender Blumenbeete. Hier war alles klar geordnet, in Abteilungen unterteilt, zwar weit und ausladend, aber doch in seiner Wirkung nüchtern und bescheiden. Wie sehr hätte ich es ihr gegönnt, noch einige Jahre in Ruhe dieses vollkommene Spiegelbild ihrer Geisteshaltung zu genießen, zu sehen, wie ihr Enkel heranwächst, damit er vielleicht doch eines Tages als Pharao über Ägypten herrschte.
«… dann knallte Eje mit der Peitsche, und wenn ich mich nicht am Rand des Wagenkorbes festgehalten hätte, wäre ich hinten hinausgefallen», hörte ich Nassib begeistert erzählen.
Aber vielleicht war es besser für sie, wenn sie all das, was auf die Beiden Länder noch zukommen konnte, nicht mehr erleben musste. Ägypten trieb an den Abgrund, in den Wahnsinn. Standen wir nicht schon längst am Rande des Abgrunds? Erst jetzt wurde mir bewusst, dass mir Teje wegen meiner Tochter nie Vorwürfe gemacht hatte. Sie verlangte nie von mir, dass ich Nafteta zur Zurückhaltung oder zur Umkehr ermahnte. Aber hätte denn sie, ausgerechnet sie, einen Grund dazu gehabt, wo doch ihr eigener Sohn nicht nach rechts und nach links geblickt hatte, als er sich entschloss, nur seinen eigenen Willen durchzusetzen?
«Eje sagte, dass wir durch den Dattelgarten fahren, um die Arbeiter ein wenig zu erschrecken. In Schlangenlinien fuhren wir um die Bäume herum, und wenn wir an einem Ende ankamen, drehten wir um und fuhren wieder in Schlangenlinien zurück.»
Konnte meine Schwester wirklich von mir verlangen, dass ich zu Nofretete ging? Was sollte während dieser Zeit mit Tutanchaton geschehen? Wer würde sich um ihn kümmern? Ich konnte ihn nicht allein zurücklassen. Und mitnehmen, ihn nach Waset mitnehmen, durfte ich erst recht nicht. Doch ich hatte ihr mein Versprechen gegeben. Vielleicht wäre das gar nicht nötig gewesen, vielleicht hätte ich selbst eines Tages den Entschluss gefasst, nach Waset zu fahren, um Nofretete den Kopf zurechtzurücken.
«Teje hört mir gar nicht zu. Sie schaut immer nur zur Decke», beklagte sich der Junge, doch ich nahm gar nicht wahr, dass er etwas gesagt hatte, so sehr hing ich meinen Gedanken nach.
«Eje!», wurde Nassib jetzt deutlicher, und ich drehte mich zu ihm um.
«Teje schaut immer nur zur Decke», wiederholte er und sahmich vorwurfsvoll an. Erst jetzt wurde mir bewusst, was er gesagt hatte. Ich eilte zurück zum Bett meiner Schwester und sah, dass ihr Augenlicht gebrochen war. Ihr Gesichtsausdruck war aber nicht der einer friedlich Entschlafenen. Es war nicht der einer gütigen alten Frau, die denen, die zurückbleiben, sagt: «Seht mich an! Habt keine Furcht, denn es bedeutet Erfüllung, wenn man hinübergeht in das andere Leben.»
Zu solchem Trost wäre Teje nie imstande gewesen. Unnahbar, fast abweisend wirkte sie selbst im Tode noch. Meine Schwester hätte es würdevoll genannt.
Ich schloss mit einer unauffälligen Handbewegung ihre Augen, küsste flüchtig ihre Stirn und sagte zu Nassib: «Sie war eine große Königin.»
SECHS
Ihre Heiligtümer fingen an, zu vergehen,
indem sie Schutthügel wurden, mit Kraut bewachsen,
und ihre Allerheiligsten waren,
als seien sie nie gewesen.
D er Tod meiner Schwester hatte mich nachdenklich gemacht und mit einer lähmenden Trauer erfüllt. Zwar hatte uns nie eine so innige Liebe verbunden, wie man sie unter Geschwistern gemeinhin vermutet; aber mir wurde erst nach Tejes Tod richtig bewusst, welche Stütze sie mir ein Leben lang gewesen ist. Über Monate hinweg hatten wir manchmal nebeneinanderher gelebt, als wären wir fremde Menschen, die
Weitere Kostenlose Bücher