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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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endlich das steinerne Podium erreichten, an dessen Fuß ich schon einmal gestanden hatte, um es zu besteigen, damit ich, Pharao gleich, von dort aus der lebenden Sonne ins Antlitz sehen konnte. Jetzt kehrten so viele Bilder in mein Gedächtnis zurück. Bilder, die ich gar nicht sehen wollte: das Bild meines toten Vaters. Das Bild meines Freundes Ameni, als er tot in meinen Armen lag. Das Bild des toten Echnaton und zuletzt das Bild meiner toten Schwester Teje. Nur Tote!
    Warum nur Tote?
    Und als Tutanchaton mit Anchesen-paaton auf dem steinernen Thron saß, tauchte jener schreckliche Traum vor meinen Augen auf, den ich schon so oft geträumt hatte: Jetzt sah ich sie, die Doppelkrone, die weiße Krone Oberägyptens, die in die rote Krone Unterägyptens gesetzt war und nach der ich in meinen Träumen gegriffen hatte. Die Kobra, eine der Schutzgöttinnen der Krone, hatte es nie zugelassen. Mit weit geblähtem Hals hatte sie mich stets angefaucht und mit ihrem tödlichen Biss gedroht. Doch irgendjemand, ein Knabe wohl, den ich in meinen Träumen nie erkannt hatte, durfte sich der Krone nähern und sich ihrer bemächtigen. Jetzt, da ich den Knaben leibhaftig vor mir sah, wurde mir bewusst, wer mir den Griff nach der Krone verwehrt hatte: Tutanchaton, der vielleicht mein eigener Sohn war.
    Ich war entsetzt über diesen Traum, und gleichzeitig wurde ich an jenem Tag von diesem Albtraum erlöst. Es war, als wäre jetzt an den Stufen zu diesem Thron, der es erlaubte, dem Aton selbst ins Antlitz zu blicken, ein Fluch von mir abgefallen.
    Endlich war ich wieder ich selbst, so wie damals, nachdem Echnaton mich an diesem Ort angesprochen hatte und ich aus Scham über meine unverzeihliche Anmaßung vor ihm niedergesunken war und er mich wieder aufgehoben hatte. Als ich Tutanchaton sah, als ich sah, wie Aton sein Antlitz und das Antlitz Anchesen-paatons erleuchtete, und als ich sah, wie alle Anwesenden vor der erschienenen Gottheit in Demut niedersanken, fiel auch ich zu Boden und unterwarf mich dem, der bis ans Ende meiner Tage über mir stehen würde.
     
    «Nun sagt mir endlich, was in Waset geschehen ist», flehte ich Haremhab an.
    Obwohl wir im Schatten von Sykomoren und Dumpalmen im Garten des Nordpalastes saßen, war es unerträglich heiß. Es wehte ein kaum spürbarer Südwind, dessen einziger Zweck wohl nur darin bestand, die schweren und süßen Düfte, welche die Glut der Sonne aus den Blüten von Jasmin und Akazien und aus Hunderten von Gewürzpflanzen herauspresste, von einem Garten zum nächsten zu tragen, damit sich der Duft ein ums andere Mal um neue Düfte vermehrte und zuletzt wie Weihrauch zum Himmel emporstieg. Denn anders als der Nordwind, der uns so oft aus der lähmenden Hitze ins Leben zurückholt, taugt der Südwind nicht, Linderung zu verschaffen.
    Haremhab sah mich nachdenklich an, und diesmal blieben seine Augenlider still. Seine Augenbrauen krümmten sich unter den tiefen Sorgenfalten seiner Stirn, und seine Mundwinkel wirkten müde. Endlich beugte er sich nach vorn, sah kurz um sich, und als er sich sicher war, dass niemand da war, der unserer Unterhaltung folgen konnte, begann er zu sprechen.
    «Man hat sie alle erwürgt, und ich kann Euch nicht einmal sagen, wer es gewesen ist. Als der Palast frühmorgens zum Lebenerwachte, standen vor den Gemächern Eurer Tochter keine Wachen. In den Räumen der Königin brannten noch Kerzen und Öllampen. Schon daraus kann man schließen, dass die Mörder zuschlugen, noch bevor Eure Tochter und ihre Kammerfrauen zu Bett gegangen waren. Die Diener fanden alle Türen unverschlossen vor und stießen zuerst auf zwei ermordete Kammerfrauen. Dann fanden sie Eure Tochter. Ihre Mörder hatten nicht einmal den Strick mitgenommen, mit welchem sie die Königin erwürgt hatten. An die Große königliche Gemahlin Meritaton und die Kinder hatte zuerst gar niemand gedacht. Umso furchtbarer muss der Anblick gewesen sein, als man nach ihnen sah und ihre leblosen Körper entdeckte. Auch die Mädchen waren noch nicht zu Bett gegangen, als ihre Mörder zu ihnen kamen. Sie spielten in ihren Gemächern noch fröhlich Verstecken.»
    «Woher wisst Ihr das?», unterbrach ich Haremhab ungeduldig, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie er solche Einzelheiten erfahren haben konnte.
    «Lasst mich fortfahren, Gottesvater Eje! Ihre werdet es gleich erfahren. Bis auf Anchesen-paaton waren alle Mädchen schon entdeckt. Nur sie verbarg sich noch in ihrem Versteck, in einem geflochtenen

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