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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Thronnamen Tutanchatons nachgedacht. Jetzt war es eine Genugtuung für mich, ihn laut hinauszurufen, um alle die zu überraschen, die damit gerechnet hatten, dass im Kronrat tagelang darüber beraten werden würde, als wäre Tutanchaton ihr eigenes Geschöpf. Aber sie sollten sehen, dass ich es war, der die Regentschaft über den Kindkönig beanspruchte. Daran wollte ich jetzt keinen Zweifel lassen!
    Es war totenstill im Saal, während sie alle dalagen und das Gesicht aus Ehrfurcht vor dem Guten Gott in den Händen vergraben hatten. Doch sie lagen auch vor mir ausgestreckt, denn solange Tutanchaton noch nicht großjährig war, würde ich darüber bestimmen, was der Maat entsprach und was nicht. Zufrieden mit mir und zufrieden mit dem, was ich sah, blickte ich zu Tutanchaton, der neben Anchesen-paaton auf dem viel zu großen Thron seines Vaters saß, und nickte ihm anerkennend zu. Der König trug nur ein Nemeskopftuch mit Kobra und Geier über seiner Stirn, und er hielt einen eigens für ihn eilig angefertigten kleinen Krummstab und eine kleine Geißel in seinen Händen. Für einen passenden Chepresch oder gar für eine Doppelkrone in seiner Größe war Haremhab keine Zeit mehr geblieben. Dann rief ich mit lauter Stimme:
    «Der Sohn des Aton ist erschienen, der Starke Stier, schön an Geburten, schön an Gesetzen, der die Beiden Länder beruhigt, der die Kronen erhebt und die Götter befriedigt, der König von Ober- und Unterägypten, Herr der Beiden Länder Neb-chepru-Re, Sohn des Re, Herr der Kronen, Tutanchaton, Herrscher von Waset, dem Leben wie Re gegeben werde ewiglich!»
    Es war, als wollten die Kriegstrommeln, die jetzt erklangen, jedes Wort, das ich gerufen hatte, in das Gedächtnis von Tutanchatons Untertanen einmeißeln. Dann war es wieder still wie zuvor, und noch zweimal wiederholte sich das beeindruckende Schauspiel, ehe sich alle erhoben.
    Ohne dass noch irgendetwas gesagt wurde, stand das junge Herrscherpaar auf und ging zwischen zwei Wedelträgern undgefolgt von Haremhab und mir zum großen Tor der Audienzhalle, das sich langsam schwerfällig öffnete. Dicht an dicht drängten sich die Menschen in dem Hof vor uns. Es waren nur Beamte des Palastes, Priester und Soldaten, die dorthin Einlass gefunden hatten, und sie alle warfen sich vor Tutanchaton nieder, damit ich auch ihnen dreimal die Titulatur Pharaos verkündete.
    Dann hörte ich nur noch den Jubel der Menge.
    «Lang lebe Tutanchaton!», riefen sie und: «Es lebe die wiedererstandene Hoffnung Ägyptens!»
    «Die wiedererstandene Hoffnung Ägyptens» nannten sie ihn!
    Von dort, wo ich vor neun Jahren Kija, meine letzte Liebe, vor Pharao geführt hatte, wo noch vor wenigen Jahren die Bahre mit dem toten Echnaton gestanden hatte, von wo aus meine Tochter als Semenchkare ihren Weg nach Waset angetreten hatte, sah ich jetzt hinab auf die jubelnde Menge und musste daran denken, dass ich noch nicht einmal die Zeit gefunden hatte, Haremhab nach dem Ende Nofretetes und ihrer Töchter zu fragen.
    Das Streben nach Macht schien kein Erbarmen, kein Mitleid zu kennen. Nicht einmal bei der eigenen Tochter. Dieser Augenblick, da stellvertretend für ganz Ägypten diese Menschen meinem Tutanchaton zujubelten, war auch ein Augenblick meines Triumphes über alle, die mich aus Neid verachtet oder gar gehasst hatten. Und es war ein Augenblick des Triumphs über Nofretete. Welch grausamer, niederträchtiger Gedanke: ein Triumph des Vaters über die eigene Tochter!
    Und doch hatte mein Herz diesen Gedanken zugelassen.
    Meine Tochter würde es aber nur noch in der Erinnerung geben. Doch Tutanchaton stand jetzt vor mir als der fünfte Pharao, der über Ägypten herrschte, seit ich auf dieser Welt lebte. Mein Sohn. Vielleicht. Nie, niemals durfte ich diese Ahnung – oder war es doch eine Hoffnung? – laut von mir geben. Am selben Tag, an dem Haremhab davon erfahren haben würde,wären der Knabe und ich tot, denn niemals hätte der General mir diesen Betrug verziehen.
     
    In einem für mich unvergesslichen Zug, der von den Freudenrufen aller Bewohner Achet-Atons begleitet wurde, rollte Tutanchatons Streitwagen zum Gempa-Aton. Ich lenkte ihn selbst, denn nur so blieb es mir erspart, neben dem Prunkwagen Pharaos herzulaufen.
    «Sieh nur, wie sie dir zujubeln!», sagte ich zu Nassib. Und wenn ich ehrlich bin, sagte ich es mehr zu mir selbst als zu ihm.
    Wir schritten durch die Tore des mächtigsten aller Tempel, zogen an den vielen hundert Opferaltären vorbei, bis wir

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