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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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eintöniges Lied zu zirpen, wenn die Gefahr vorüber war. Ich hatte schon angesetzt, sie gedankenlos zu zertreten, doch ich besann mich eines Besseren.
    «Nicht ich», sagte ich leise zu dem unscheinbaren Tier. «Über deine Zeit soll ein anderer bestimmen.»
     
    Die eigentliche Krönung Tutanchatons sollte in Waset stattfinden, wie es vor der Zeit Echnatons und Nofretetes der Brauch gewesen war. Haremhab und ich waren uns darin einig, dass vieles wieder so werden musste, wie es unter Amenophis Neb-maat-Re gewesen war. Die Alleinherrschaft Echnatons und die Regierungszeit meiner Tochter waren zu kurz gewesen, als dass die Menschen die alten Bräuche unseres Landes und den alten Glauben gänzlich abgelegt und vergessen hätten. Ich erinnerte mich der Worte des weisen Priesters des Re im Tempel von On, der ebenfalls Merire geheißen hatte: Das Gedächtnis der Menschen sei lang, hatte er vor vielen Jahren Echnaton gegenüber zu bedenken gegeben. Es sollte ja nicht mehr lange dauern, undich würde selbst sehen, was in Waset außer den Tempeln und Palastanlagen aus den Tagen Nimurias übrig geblieben war.
    Haremhab und ich, und mit uns eine kleine Gruppe ausgesuchter Männer, zu denen auch Aper-el, Mahu und Maja gehörten, bereiteten die Fahrt Tutanchatons und dessen Krönung in stundenlangen Beratungen bis in jede Einzelheit vor. In den königlichen Werkstätten von Achet-Aton war man derweil damit beschäftigt, Geißel und Krummstab, Schulterkragen und Siegelringe, Ohrgehänge und Armreifen, einen Zeremonialbart und alle Arten von Kronen in der passenden Größe für den Kindkönig anzufertigen. Aber nicht nur Schmuck wurde eigens für Tutanchaton geschaffen, sondern auch sein Thronsessel mit einem Fußschemel, ein für seine Größe angemessener Prunkwagen und eine Sänfte, deren Seitenwände niedriger waren als die der sonst üblichen Sänften, damit man Pharao auch sehen konnte, wenn er an den jubelnden Menschenmassen vorbei zum Tempel oder zum Palast getragen wurde.
    Die alte Prunkbarke Nimurias, die den Namen «Erschienen in Wahrheit» trug, wurde ausgebessert, wo es nötig war. Der Schiffsbaumeister Nebenkemet, den alle nur Meru nannten, ließ die gesamte Takelage auswechseln, hellrote Segel setzen, und zuletzt wurde die Barke vollkommen neu gestrichen, sodass man glaubte, das Schiff sei gerade erst fertig gestellt worden.
    In der verbleibenden Zeit wies ich Tutanchaton in den alten Ritus der Krönung ein. Der Regierungsantritt Nimurias lag sechsundfünfzig Jahre zurück, und außer mir selbst war Acha der Einzige, der aus dem unmittelbaren Umfeld der königlichen Familie überhaupt noch am Leben war. Aber nur ich, ich allein, durfte damals mit dabei sein, als Nimuria in den Tempel Amuns gebracht und dort in die heiligen Riten eingeführt und anschließend zum Pharao gekrönt wurde. Es gab keinerlei Aufzeichnungen über die Krönung, weder im Staatsarchiv des Palastes noch in irgendeinem Tempel der Beiden Länder. Die Krönung Echnatons verlief nach ganz anderen Regeln, da er zunächst von Nimuria zum Mitregenten erhoben und der Beginnseiner Alleinherrschaft nach dem Tod seines Vaters mit einem gewaltigen Fest gefeiert worden war, das aber keine Ähnlichkeit mit der althergebrachten Thronbesteigung unserer Herrscher hatte.
    Stunde um Stunde rief ich mir jeden Augenblick jener Tage in mein Gedächtnis zurück, wenn ich spätabends auf der Palastterrasse saß und es eigentlich längst Zeit war, schlafen zu gehen. Auf dem kleinen Tisch vor mir lagen drei Bögen Papyrus und einige Schreibbinsen, und neben einem Glas Wein standen drei kleine Behälter mit Tinte. Auf den ersten Bogen schrieb ich wahllos alles, was mir in den Sinn kam: Doppelkrone, Geißel, Krummstab, Zeremonialbart und Stierschwanz. Lauf um den Palast, Aufrichten des Djetpfeilers. Niederwerfen der Fürsten, der Priester und der Beamten und Niederwerfen des Volkes vor Pharao. Verschießen von vier Pfeilen. Ernennen des Wesirs und Verleihen von sonstigen Ehrentiteln. Verkünden des Namens Seiner Majestät und der Großen königlichen Gemahlin.
    Auf dem zweiten Bogen zeichnete ich nach meiner Erinnerung all die Wege ein, die der Herrscher zurücklegen musste: vom Großen Audienzsaal in den Tempel und dort durch die verschiedenen Hallen bis zum Allerheiligsten des Amun. Von dort wieder zurück in den Saal, wo die Titulatur verkündet wurde, und danach all die Wege und Fahrten bis in den Palast der leuchtenden Sonne westlich des Flusses, damit der Beginn

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