Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
einer neuen Herrschaft, der Beginn einer neuen Zeit mit einem unvorstellbaren, drei Tage andauernden Fest gefeiert werden würde.
Auf dem dritten Bogen trug ich ein, an welcher Stelle an all diesen Plätzen ein jeder von uns seinen ihm gebührenden Platz finden würde, im Audienzsaal, vor dem Palast, bei allen abendlichen Festlichkeiten. Meine nächtliche Arbeit ging nur schleppend voran, denn immer wieder versank ich in Erinnerungen an Nimurias und meine Jugend: Ich sah ganze Abfolgen so lebendiger Bilder, als hätte ich das, woran ich mich jetzt erinnerte, erst gestern erlebt. Ich hörte die Stimmen derer, dieuns begleitet hatten, und manchmal glaubte ich, sogar den Duft des Jasmins, der beim Krönungsfest Nimurias die Hallen des Palastes durchzogen hatte, zu riechen. Zuletzt versuchte ich mir auszumalen, wie es in wenigen Wochen bei den Krönungsfeierlichkeiten Tutanchatons aussehen würde.
Tutanchaton hörte mir geduldig zu. Wieder und immer wieder gingen wir in Gedanken alle Wege, vollzogen wir die heiligen Riten und sprachen die Weiheformeln.
«Wie weit flogen die Pfeile, die mein Großvater verschoss?», fragte mich Nassib, und an der Begeisterung in seiner Stimme spürte ich, dass das Verschießen der Pfeile in die vier Himmelsrichtungen in seiner Vorstellung der aufregendste Vorgang sein würde.
«Zweihundert Ellen waren es allemal», antwortete ich ihm und war mir doch sicher, dass es Nimuria auf weit mehr als dreihundert gebracht hatte. Aber Nassib war so stolz darauf, dass er dank der geduldigen Unterweisung durch den Offizier Paramessu schon hundert Ellen weit schießen konnte, sodass ich ihn nicht durch die uneinholbare Leistung seines Großvaters entmutigen wollte.
«Aber Nimuria war ja schon sechzehn Jahre alt. Ich könnte mir vorstellen, dass du ihn eines Tages übertreffen wirst. Wichtiger aber ist, dass du weißt, warum die Pfeile in die vier Himmelsrichtungen verschossen werden.»
Er sah mich überrascht an und sagte dann mit der leiernden Stimme eines gelangweilten Schülers, der im vierten Unterrichtsjahr nach den oberägyptischen Gauen gefragt wurde: «Das Verschießen der Pfeile in die vier Himmelsrichtungen ist das äußere Zeichen dafür, dass Pharao die Herrschaft über Ägypten und alle Länder der Erde ergriffen hat.»
Auch die Boten Ägyptens waren in alle Himmelsrichtungen unterwegs, um von der bevorstehenden Thronbesteigung Tutanchatons zu künden und alle Könige und Fürsten, die mit den Beiden Ländern Handel trieben, die mit ihnen befreundet oder Ägyptenuntertan waren, einzuladen, damit sie reichlich Geschenke an den Nil brachten und so Pharao ihre Verbundenheit oder ihre unverbrüchliche Treue zeigten. In Achet-Aton kehrte jetzt eine spürbare Ruhe ein, denn jeder, der an den Feiern in Waset teilnehmen wollte, brach in diesen Tagen nach Süden auf.
Auf dem Nil herrschte ein dichtes Gewimmel von Schiffen aller Art. Dort fuhren stolze Barken reicher Fürsten aus dem Norden, Ruderschiffe, die prall gefüllt waren mit Menschen niederer Herkunft, Segelschiffe von Händlern, die Wein und Bier, Getreide und getrocknete Datteln, Feigen oder einfach nur nutzlosen Tand nach Waset brachten, damit er dort gewinnbringend getauscht werden konnte. Auf den Schiffen wurde gescherzt und gesungen, über die Vergangenheit Ägyptens ebenso geredet wie über seine Zukunft, und gewiss war mancher unter ihnen, der alles besser wusste als jeder Wesir und alle Beamten der Beiden Länder zusammen. Von den schnellen Schiffen, die die anderen mühelos überholten, winkten sie den langsamen schadenfroh zu und riefen: «Beeilt euch, sonst ist das Fest vorüber, bevor ihr in Waset angekommen seid!»
«Sauft uns nicht alles weg!», riefen die Verspotteten zurück, um sogleich mit dem Kommandanten des eigenen Schiffes ihren Spott zu treiben: «Fährt dein alter Kahn nicht schneller?», rief ihm ein Dicker zu, während die anderen freudig losjohlten. «Wahrscheinlich drückt ihn die Schuldenlast so sehr, dass sein Kiel am Grund des Flusses schleift», lästerte der Dicke weiter.
«Du wirst gleich mit einem fetten oberägyptischen Krokodil Bekanntschaft machen, wenn du nicht dein Schandmaul hältst», schimpfte der Kommandant beleidigt zurück, während sein Schiff keine dreißig Ellen von mir entfernt an der äußeren Hafenmauer vorüberglitt.
Das Beladen der königlichen Flotte zu überwachen war keine sehr aufregende Sache. So empfand ich schon ein gewisses Vergnügen, wenn ich derbe Wortfetzen
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