Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
geschehen: Ohne dass ich es bemerkt hatte, hatte Nassib auf ein Flusspferd am Rand der Herde geschossen. Obwohl er das Tier an seiner linken Brustseite getroffen hatte, war der Pfeil freilich nicht tief genug eingedrungen, um das Herz tödlich zu verletzen. Stattdessen riss das mächtige Tier unter lautem Gebrüll sein Maul auf, warf sich von einer Seite auf die andere und versetzte so die ganze Herde in Unruhe. Erst durch das Gebrüll des getroffenen Tieres wurden Ipu und ich auf die Gefahr aufmerksam gemacht und erkannten, was Nassib angerichtet hatte.
Unser Schiff fuhr langsam, und so dauerte es nicht lange, bis die ersten Flusspferdbullen es erreicht hatten. Einige von ihnen rissen die Mäuler weit auf, zeigten drohend ihre gefährlichen Eckzähne und fauchten uns vorwurfsvoll an. Andere wieder schwammen unter Wasser an das Schiff heran und stießen mit der ganzen Wucht ihres massigen Körpers gegen die Planken, sodass wir selbst auf einem so großen Schiff wie der königlichen Barke die Erschütterung spürten. Es gab keinen Grund, eine wirkliche Gefahr zu fürchten, denn nie wäre es den Tieren, und wäre ihre Wut auch noch so groß gewesen, gelungen, das Schiff ernsthaft zu beschädigen. Ich nahm Nassib zur Seite und stellte mich mit ihm unter den Baldachin, um den Schiffsleuten nicht im Weg zu sein. Denn einige Matrosen schlugen mit den Ruderstangen auf die Schädel der Tiere ein, die neben unserem Schiff schwammen, und versuchten so, sie zu vertreiben. Einige taten es im Ernst, andere machten sich nur einen Spaß daraus. Doch die Flusspferde wurden so nur noch wütender.
Einige der Männer glaubten sich auf dem Schiff allzu sicher und beugten sich weit hinaus. Ein riesiger Bulle fasste mit seinemMaul ein Ruder, warf sich mit seinem ganzen Körper zur Seite und riss so den laut aufschreienden Soldaten, der die Ruderstange nicht schnell genug losgelassen hatte, ins Wasser. Der Nil, eben noch grün schimmernd und leidlich klar, verwandelte sich durch die wie im Wahnsinn tobenden Tiere zu einer unheimlich brodelnden und braunen Masse. Ein zweites Flusspferd biss sofort zu, warf den wehrlosen Körper in schleudernden Bewegungen hin und her und riss ihn schließlich mit sich in die Tiefe. Es dauerte nur wenige Wimpernschläge, bis sich die braune Brühe dort, wo der Soldat verschwunden war, rot färbte und wir wussten, dass es für den Mann keine Hoffnung mehr gab.
Jetzt herrschten helle Aufregung und ein Geschrei an Bord, wie ich es noch nie erlebt hatte. Einige Männer brüllten sich an und warfen sich dabei gegenseitig vor, am Tod des Matrosen Schuld zu haben, und aus dem Stimmengewirr hörte ich immer wieder den Namen Tutanchaton heraus, auch wenn sich diejenigen, die in diesem Streit den Namen ihres Herrschers erwähnten, Mühe gaben, ihn möglichst schnell und unauffällig auszusprechen. Ein alles übertönender, wütender Schrei des Kommandanten machte dem Durcheinander endlich ein Ende, und es dauerte nicht lange, bis wieder Ordnung einkehrte.
Nassib kauerte zitternd unter dem Baldachin neben dem Deckshaus und weinte seine Angst mit weit aufgerissenen Augen heraus. Wieder und wieder schlugen die Körper der tobenden Tiere gegen das Schiff und hörten nicht auf, den noch immer verängstigten Jungen daran zu erinnern, was er einem von ihnen angetan hatte. Ich kniete neben ihm nieder und schloss ihn in meine Arme.
«Du konntest nicht wissen, was geschehen würde», tröstete ich ihn und fuhr mit den Fingern durch sein verschwitztes Haar.
«Ich wollte das nicht», schluchzte er. «Ich konnte doch nicht wissen, dass der Mann ins Wasser gerissen wird!»
«Dafür kannst du wirklich nichts. Das war dessen eigeneSchuld. Aber du hättest erst gar nicht auf das Tier schießen dürfen, Nassib. Auch nicht, wenn du der Herrscher bist. Nicht dass ich dir die Jagd verbieten will, aber Flusspferde kann man nicht mit Pfeil und Bogen erlegen. Auch der stärkste Bogenschütze nicht. Das geht nur mit Speeren und Harpunen.»
Ein Teil der Mannschaft hatte endlich auf seine Bänke zurückgefunden und mit kräftigen Ruderschlägen das Schiff wieder in Fahrt gebracht. Es dauerte eine Weile, bis wir das Revier der Herde verlassen hatten und die Angriffe gegen unser Schiff nachließen, bis sie schließlich ganz aufhörten. An Deck herrschte jetzt betretenes Schweigen, und man hörte nur das Knarzen der Ruderriemen und das Plätschern des von den Rudern in den Nil zurücktropfenden Wassers. Jeder andere Junge Ägyptens, selbst
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