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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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wenn er der Sohn des Wesirs oder des Ersten Sehenden von Achet-Aton gewesen wäre, hätte jetzt mit härtester Strafe rechnen müssen. Da aber der junge Herrscher selbst der Urheber dieses Unglücks war, blieb seine Missetat zumindest äußerlich ohne Folgen. Nassib ließ sich von mir nicht ausreden, dass er keine Schuld am grausigen Tod des Soldaten hatte. Vielmehr dachte er an jenem Tag lange darüber nach, was er als der Herrscher für die Familie des Opfers tun könne, um den Verlust des Mannes für sie erträglicher zu machen. Seine Entscheidung behielt er allerdings für sich.
    Zwei Tage benahm er sich wie ein Musterschüler: Ganz gleich, wovon ich erzählte, hörte er mir aufmerksam zu. Er widersprach nicht, wenn er zu Bett zu gehen hatte, und «Bitte» und «Danke» hörte ich öfter denn je. Diese Niedergeschlagenheit – und nichts anderes als ein Ausdruck von Niedergeschlagenheit war es, was er zeigte – ertrug ich nicht, denn das war nicht der Nassib, den ich kannte. Als ich am späten Nachmittag des darauf folgenden Tages mit ihm allein unter dem Baldachin am Bug des Schiffes saß, boxte ich gegen seinen Oberarm und sagte zu ihm: «Jetzt vergiss einfach, was gestern geschehen ist. Ich habe dir längst verziehen und Haremhab auch. Jeder von uns macht Fehler. Erwachsene ebenso wie Kinder.»
    Er legte seinen Kopf an meine Schulter, und ich sah, wie er leise weinte. Er würde in seinem jungen Dasein als Herrscher Ägyptens noch ganz andere Dinge durchstehen müssen. Da war ich mir sicher. Umso wichtiger war es für ihn, dass ihm jemand zur Seite stand und ihn wieder aufrichtete, wenn es nötig war. Der General konnte das gewiss nicht.
    «Wenn du mich dreimal nacheinander im Senet schlägst, dann schenke ich dir etwas», sagte ich zu Nassib, um ihn endlich abzulenken. Ruckartig hob er seinen Kopf, wischte sich schnell den Rest der Tränen aus dem Gesicht und fragte mit großen Augen: «Was schenkst du mir?»
    «Lass uns erst einmal spielen, dann werden wir sehen, ob du auch gewinnst. Und dann reden wir über das Geschenk», lachte ich ihn an. Alle Trübsal war wie weggeblasen, als wir uns Augenblicke später gegenübersaßen, die Wurfhölzchen klapperten und ich erwartungsgemäß ein Spiel nach dem anderen verlor.
     
    Der Gedanke an das bevorstehende Wiedersehen mit meinem Vetter Baki machte mich unruhig. Ohne jeden Zweifel wusste er, dass Tutanchaton und ich am Leben waren, denn die Nachrichten über den Tod Nofretetes und die Thronfolge des Jungen waren längst Lauffeuern gleich durch Ägypten gegangen. Ich hatte mich aber bislang noch nicht danach erkundigt, wie es Baki nach unserer Flucht von Waset in die Oase Fajum ergangen war. Hatte ich ihm nicht absichtlich gesagt, wir würden nach Nubien ziehen, damit er unsere Verfolger besten Gewissens auf die falsche Fährte führte? Aber wie stand ich vor ihm da, wenn er meinetwegen gefoltert worden war? Und wie stand er vor mir da, wenn er ohne jede Drohung unser Geheimnis preisgegeben hatte? Mein Gewissen plagte mich deswegen fürchterlich. Am liebsten wäre ich an Achmim, der Heimatstadt meiner Eltern, vorbeigesegelt.
    Es gab reichlich Anlass, Wiedergutmachung zu leisten. Und dies musste gleich geschehen.
     
    Alles war für den Landgang des jungen Herrschers vorbereitet. Die Diener Pharaos hatten das Prunkzelt nahe der Anlegestelle bereits aufgestellt, und die Leibgarde bildete vom Landungssteg des Schiffes bis zum Zelt ein dichtes Spalier. Die Wedelträger standen bereit und warteten auf ein Zeichen von mir, um mit Tutanchaton in ihrer Mitte die Barke zu verlassen. Mir aber war so elend zumute, dass ich nicht gehen wollte. Die Scham, die ich gegenüber meinem Vetter Baki empfand, die Furcht, ihm gegenüberzutreten und Rede und Antwort stehen zu müssen, hielten mich im Schatten des Baldachins zurück wie in einem vermeintlichen Versteck.
    «Wo bleibt Ihr, Gottesvater Eje?», rief mir Haremhab zu, während er Tutanchaton von oben bis unten musterte wie einen seiner Rekruten. Wie es bei einem Offizier nicht anders sein konnte, fand sich schließlich eine Kleinigkeit, die es zu bemäkeln gab.
    «Das Diadem sitzt nicht genau in der Mitte, Majestät», flüsterte er betulich, und seine Frage, ob er behilflich sein dürfe, war überflüssig, da er den goldenen Kopfschmuck über dem gestreiften Nemes-Kopftuch schon zurechtgerückt hatte, ehe der Satz zu Ende gesprochen war. Er nickte knapp und war zufrieden.
    So vorsichtig und unauffällig wie eine pirschende

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