Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
die Augen sehen zu müssen. Es geschah aber unweigerlich. Baki hob nach und nach den Kopf, sah erst aus den Augenwinkeln heraus verstohlen zu Anchesen-paaton und Haremhab, ob sieAnstoß nehmen würden daran, dass er nicht mehr zu Boden sah, und nach einigen Augenblicken, die mir wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen waren, trafen sich unsere Blicke. Ernst und ausdruckslos wie zwei Kaufleute, die sich noch nicht kannten und die versuchten, an den Gesichtszügen des jeweils anderen ihre Möglichkeiten auszuloten, sahen wir uns an. Das unmerkliche Zucken eines Mundwinkels konnte ebenso als der zaghafte Ansatz eines Lächelns gedeutet werden wie auch nur als eine kleine, unbedeutende Aufgeregtheit. Doch das Zucken des Mundwinkels weitete sich bei uns beiden nach und nach zu einem freundlichen Lächeln aus. Zuletzt bedeutete mir sein knappes Kopfnicken, dass alles gut war. Auch ich nickte und schloss fürs Erste zufrieden die Augen.
Wir konnten das Zelt nicht vorzeitig verlassen, um ungestört über das reden zu können, was zwischen uns stand. Es wäre eine unerhörte Beleidigung gegenüber dem jungen Herrscher gewesen, die auch ich mir unter keinen Umständen erlauben wollte. So mussten Baki und ich notgedrungen warten, bis die kleine Audienz beendet und es erlaubt war, untereinander zu sprechen.
«Ich bin überglücklich, dich in bester Gesundheit wieder zu sehen», begann ich, als es endlich so weit war.
«Ich bin es auch, Eje.»
«Ich hatte große Sorge, dass man dir unseretwegen Unrecht zufügt, dass man dir und deiner Familie Leid antut», fuhr ich hastig fort.
Er spitzte den Mund und sagte überrascht: «Weswegen sollte man mir und meiner Familie Leid angetan haben?»
Für einen Augenblick war ich mir nicht sicher, ob er sich nur dumm stellte oder ob er wirklich nicht wusste, was ich gemeint hatte.
«Hat man dich nicht gefragt, mit welchem Ziel der Thronfolger und ich Achmim verlassen haben?»
Baki lächelte mich freundlich, aber etwas verlegen an und sagtedann leise, ja so rücksichtsvoll leise, damit es niemand hören konnte: «Glaubst du wirklich, ich hätte dir geglaubt, dass dich eure Reise nach Nubien führen würde? Du hast es mir sehr geschickt leicht gemacht, eure Verfolger mit gutem Gewissen auf die falsche Fährte führen zu können. Bereits einen Tag, nachdem du Achmim verlassen hattest, stand ein Trupp Soldaten vor meinem Haus, und ihr Anführer sah nicht so aus, als würde er lange damit warten, mich foltern zu lassen, um eine Antwort auf seine Fragen zu erhalten. Noch während er mich befragte, spielte er unablässig mit einem Strick, den er zuvor noch an seinem Gürtel hängen hatte. Das sollte mich wohl einschüchtern. Zu meinem Glück konnte sich der Hafenmeister an euch erinnern, und er bestätigte dem Offizier meine Angaben, nämlich dass ihr ein Schiff nach Süden gewählt hattet. Eine Stunde später waren sie ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Sie schienen es wirklich sehr eilig gehabt zu haben.»
Ich brachte kein Wort mehr heraus, so froh war ich über den Ausgang meines Täuschungsmanövers gewesen. Stattdessen ging ich auf Baki zu, umfasste mit beiden Händen seine Schultern und drückte ihn fest an mich.
Den Rest des Tages verbrachten wir im Haus meines Vetters. Es war freilich an Tutanchaton, die aufregende Geschichte unserer Reise zu erzählen, und wir bezeichneten es auch vor meinem Vetter als eine Reise und nicht als Flucht. Ich war erstaunt, mit welch ausgewählten Worten und wie überlegt der noch nicht einmal neunjährige Knabe alles berichtete, die Reihenfolge der Geschehnisse einhielt und nur in Maßen übertrieb. Freilich machte er aus den einhundert Soldaten, die uns in der Wüste aufgespürt hatten, eintausend, ohne etwas dabei zu empfinden, und stockte die Zahl der Flusspferde, die unser Schiff angegriffen hatten, von zwanzig auf knapp fünfzig auf. Das erinnerte mich ein wenig an die Jagdberichte meines Freundes Amenophis: «Dann befahl Seine Majestät, man solle einen Graben um die wilden Stiere ziehen, woraufhin Seine Majestät sich auf allediese Stiere stürzte. Ihre Zahl: 170 wilde Stiere. Die Zahl, die der König an diesem Tag tötete: 56 wilde Stiere.»
Stand es nicht so oder so ähnlich auf dem aus Ton gebrannten heiligen Käfer, den Nimuria als junger Herrscher zu König Kurigalzu nach Babylon geschickt hatte? Welch langes Jägerleben Tutanchaton noch vor sich hatte! Die Zahl der Wildenten, die Seine Majestät erlegt hatte: tausend
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