Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
weiß, es ist fast lächerlich, dass ich erst jetzt frage. Immerhin sind wir seit Monaten zusammen auf diesem Schiff unterwegs. Aber ich habe bisher immer gedacht, dass wir alle irgendwie nach Neuseeland wollen – ohne mir groß darüber Gedanken zu machen, dass das ein riesiges Land ist.«
»Das ist es in der Tat«, nickte die Ältere, die leicht die Mutter der anderen hätte sein können. »Mein Mann und ich wollen auf die Südinsel. Die Nordspitze der Südinsel. Da lebt meine Tochter mit ihrer Familie.«
Sie zog einen zusammengefalteten Brief aus einer Tasche ihres Rocks, dem man ansehen konnte, dass er schon Hunderte Male durchgelesen worden war. »Sie hat uns geschrieben, dass sie mit ihrem Mann in einer wunderschönen Bucht lebt – und dass wir unbedingt zu ihr kommen sollen. Wir werden unsere Enkel kennenlernen, könnt Ihr Euch das vorstellen?«
Die Jüngere lächelte schüchtern und legte mit einem gewissen Stolz ihre Hand auf ihren Bauch. »Ich bekomme gerade unser erstes Kind. Nein, da kann ich mir einen Enkel auf keinen Fall vorstellen. Das wird mir – wenn Gott es gut mit uns meint – wohl frühestens in zwanzig Jahren passieren.«
»… und die werden schneller vergehen, als Ihr es Euch im Traum vorstellt«, erwiderte Elizabeth Courtenay. Eine besonders heftige Welle zwang sie dazu, sich an der Reling festzuklammern, um das Gleichgewicht zu halten.
Ein empörtes Wiehern, gefolgt von zwei dumpfen Schlägen, ertönte aus dem Schiffsbauch. »Er wird sich wohl nie an die See gewöhnen«, seufzte Elizabeth Courtenay. »Aber ihn hätte mein Mann ganz bestimmt nicht in England gelassen.«
»Euch gehören der wunderschöne Hengst und auch die Schimmelstute, die ich im Frachtraum gesehen habe?«
»Ja. Wir werden wahrscheinlich die Ersten sein, die in Neuseeland mit der Vollblutzucht anfangen. Das hat sich mein Mann zumindest an dem Tag in den Kopf gesetzt, an dem er gehört hat, dass meine Tochter und ihr Mann ein ordentliches Stück Land ihr Eigen nennen. Bis jetzt wollte ja keiner etwas von den Nachfahren unseres Sunrise wissen – aber vielleicht ändert sich das jetzt ja.« Sie streckte der jungen Frau ihre Hand hin. »Ich denke, wir wurden noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Elizabeth Courtenay.«
»Janet Denson«, antwortete die junge Frau eine Spur zu hastig. »Mein Mann und ich wollen auch auf die Südinsel. Angeblich soll es dort Minen geben. Mein Mann hat in Wales alles über den Bergbau gelernt, was man nur wissen kann. Vielleicht gibt es ja in Neuseeland eine Möglichkeit, dass wir aus diesem Wissen unser Glück schmieden können.«
»Bestimmt gelingt Euch das!«, erklärte Elizabeth zuversichtlich. »Wenn Ihr jungen Leute nicht daran glaubt, dass Ihr in den Kolonien euer Glück machen könnt – dann dürften so alte Menschen wie mein Mann und ich ja gar nicht mehr aus dem Haus. Und schon gar nicht mehr daran denken, dass wir für unseren Lebensabend noch einmal etwas ganz Neues anfangen können.«
»Was habt Ihr denn zu Hause gemacht?«, wollte Janet Denson wissen.
Elizabeth Courtenay lachte. »Pferde gezüchtet. Früher auf unserem eigenen Gestüt, das waren die wunderbaren Jahre. Als wir dann kein Geld mehr hatten und unser Land verloren, haben wir ein Gestüt an der Grenze zu Schottland verwaltet. Ein schöner Stall, großartige Tiere – aber eben nicht mehr unser eigenes. Außerdem hat es meistens geregnet, das habe ich allmählich in meinen Knochen gespürt. Meine Tochter schreibt, dass in Neuseeland das Wetter besser ist …«
Ein Aufschrei aus dem Ausguck ließ alle Menschen an Bord ihren Kopf in Richtung Osten drehen. »Land in Sicht!«
Und tatsächlich tauchte am Horizont ein schmaler Streifen auf. Unwillkürlich legte Janet Denson ihre Hand auf den Bauch, mit den Augen suchte sie nach ihrem Mann.
Elizabeth Courtenay bemerkte den Blick. »Er wird wieder unter Deck bei meinem Mann sein. Die beiden sind vorher gemeinsam nach unten gegangen und haben sich über die besten Orte zum Ansiedeln unterhalten, wenn ich das richtig mitgekriegt habe. Vielleicht ist es ja auch am besten, wenn wir uns für den Weg in den Süden zusammentun …« Sie lächelte – und bemerkte nicht, dass sie dabei einen sehr fürsorglichen Ausdruck bekam. »Wer weiß, vielleicht lernen auf diese Weise Eure Kinder meine Enkel kennen. Als echte Neuseeländer der ersten Generation haben sie sicher viel gemeinsam.«
Janet Denson lachte. »Ja. Warten wir ab, was aus uns wird …«
Beide Frauen
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