Im Land des weiten Himmels
übrig, als zuzustimmen. »Ja … Ja, natürlich.«
»An den anderen Tagen zeigen wir dir, wie man in der Wildnis überlebt und einen Hundeschlitten lenkt. Du musst noch viel lernen, wenn du in den Wäldern alt werden willst.« Da hatte er recht. Erst heute Morgen hatte sie feststellen müssen, dass ein Sack mit Gemüse in der Nacht von wilden Tieren angefressen worden war, weil sie wie ein verdammtes Greenhorn die Tür nicht richtig verschlossen hatte. Wieder dieses Blitzen in seinen Augen. »Wollen wir gleich anfangen? Deine Schüler warten bereits.« Er deutete auf das Haus.
Sie hatte sich schon gewundert, warum keine Kinder im Schnee spielten, und folgte dem Häuptling sprachlos zur neuen Schule.
In dem Blockhaus saßen Dorothy, vier weitere Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, Dorothys Mutter und die Frau des Häuptlings auf bereitgestellten Stühlen. Die Alte grinste so breit, dass man ihre Zahnlücken sehen konnte. Auf Hannah warteten ein kleiner Tisch, auf dem eine flackernde Öllampe stand, und ebenfalls ein Stuhl sowie ein Stapel mit Papier in allen Größen. Daneben lagen einige Stifte. Ein alter Kanonenofen verbreitete angenehme Wärme.
Bei ihrem Eintreten standen alle auf, und Dorothy begrüßte sie mit den einstudierten Worten: »Willkommen in der Tanana-Schule, Frau Lehrerin!«
Hannah zeigte sich gerührt und nickte dankbar. Sie war nicht lange in der Schule gewesen, erst in der alten Heimat und später auch für ein paar Monate in New York, um die englische Sprache zu erlernen, aber sie hatte noch nie unterrichtet und fand es äußerst seltsam, vor mehreren Erwachsenen und Kindern zu stehen und von ihnen erwartungsvoll angesehen zu werden.
»Ich freue mich, dass ihr so zahlreich gekommen seid«, begann sie unbeholfen. »Chief Alex hat mich gebeten, euch Schreiben und Rechnen beizubringen, und ich will versuchen, euch eine gute Lehrerin zu sein. Wie manche von euch wissen, komme ich aus Deutschland, einem Land im fernen Europa. Die Buchstaben und Zahlen sind in Deutschland und Amerika gleich, aber die Sprache der Amerikaner war auch für mich eine fremde, und ich musste hier noch mal zur Schule gehen und Englisch lernen … So wie ihr. Ich weiß, die meisten von euch sprechen Englisch, aber nur wenige können lesen und schreiben und können deshalb zum Beispiel nicht nachprüfen, ob in einem Vertrag, den euch die Amerikaner vorlegen, alles so festgelegt ist, wie ihr das vereinbart habt. Und wer nicht rechnen kann, bekommt vielleicht zu wenig Geld raus, wenn er in einem Laden bezahlt. Wie wär’s, wenn wir mit dem Schreiben anfangen?«
»Teddy«, wollte Dorothy wissen. »Wie schreibt man Teddy?«
»Eine gute Frage«, erwiderte Hannah. Sie schrieb das Wort in großen Buchstaben auf ein Blatt Papier und zeigte es ihrer Klasse. »T-e-d-d-y«, buchstabierte sie langsam. »Dorothy, warum gibst du nicht jedem ein Blatt Papier und einen Stift, und ihr schreibt das Wort einmal selbst. T-e-d-d-y.«
Hannah hielt ihr Blatt Papier hoch, bis jede das Wort kopiert hatte und nannte noch einmal alle Buchstaben. »Wer kennt denn noch ein Wort mit T?«
»Tanana«, rief Dorothy wie aus der Pistole geschossen.
»T-a-n-a-n-a«, wiederholte Hannah und schrieb das Wort ebenfalls auf. »So heißt euer Stamm, nicht wahr? Dafür braucht ihr nur drei Buchstaben.«
Der Unterricht machte Hannah großen Spaß. Wenn sie auf ihren Schneeschuhen durch die klirrende Kälte stapfte und in die Senke hinabstieg, freute sie sich bereits darauf, vor ihre Klasse zu treten und wieder ein paar neue Wörter mit ihnen durchzunehmen. So ganz allmählich freundeten sie sich mit den Buchstaben an. Die Frau des Häuptlings erwies sich überraschend als großes Talent im Rechnen und würde wohl dabei sein, wenn Chief Alex das nächste Mal mit einem Händler über den Preis verhandelte. Schon nach wenigen Lektionen beherrschte sie das große Einmaleins.
Wesentlich schwerer tat sich Hannah beim Erlernen des »Mushens«, wie man das Lenken eines Hundeschlittens im hohen Norden nannte. Alle Bewohner des Dorfes sahen zu, als ausgerechnet Adam ihr zeigte, wie man die sieben Huskys vor den Schlitten spannte. Er breitete die Leinen im Schnee aus und ließ sich auch von den vielen Schaulustigen nicht aus der Ruhe bringen. Einige seiner neuen Freunde hatten die vor Vorfreude jaulenden Huskys losgebunden und führten sie an den Halsbändern ins Dorf. Sie waren kaum noch zu halten. »Lassen Sie sich durch das Gejaule nicht aus der Ruhe bringen,
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