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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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sie längst keinen Gedanken mehr, nicht einmal ein wütender Grizzly hätte sie jetzt noch aufhalten können. Die Hunde schienen über den Schnee zu fliegen, der Schlitten kaum den Boden zu berühren, und als es bergauf ging, mobilisierte sie neue Kräfte und stieß sich wuchtig vom Boden ab, machte es den Huskys leichter, die Steigung zu erklimmen. Sie hatte nur noch den einen Wunsch – so schnell wie möglich bei der kranken Dorothy im Dorf zu sein.
    Als sie ihr Blockhaus erreichte, war es bereits nach Mitternacht, und ihre Müdigkeit war so groß, dass sie am liebsten angehalten und sich auf ihr Bett geworfen hätte, aber sie hielt nicht einmal an, ihr Husky glaubte wohl, bereits am Ziel zu sein und versuchte nach links auszubrechen. »Keine Pause mehr!«, rief Hannah ihm zu. »Die paar Meilen schaffen wir auch noch! Vorwärts!«
    Doch auf dem steilen Pfad, der in die Senke hinabführte, tat vor allem sie sich schwerer als erwartet, verlor mehrmals die Kontrolle über den Schlitten und konnte von Glück sagen, dass sie vor Müdigkeit nicht über die Böschung stürzte. Wäre Kobuk nicht so ein intelligenter Leithund gewesen, der selbst in schwierigem Gelände noch die Kontrolle über sein Gespann behielt, wäre die Fahrt wohl nicht ohne einen Sturz abgegangen. Sie war froh, als sie die Senke erreicht hatte und die Blockhäuser der Indianer in der Ferne erblickte. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihr, als sie die schemenhaften Umrisse eines Doppeldeckers auf dem festgestampften Schnee stehen sah.
    Vor dem Haus des Häuptlings blieben die Hunde von selbst stehen. Sie nahm die Schachtel mit den Spritzen und die Dose mit den Tabletten aus dem Vorratssack und ging hinein. Zu ihrer Erleichterung sah sie Doktor Winslow neben der schlafenden Dorothy knien. Chief Alex, seine Frau und die Eltern des Mädchens standen ebenfalls an ihrem Krankenlager. »Sie wird wieder gesund«, hörte sie den Arzt sagen. »Achten Sie darauf, dass sie die nächsten paar Wochen nicht aus dem Haus geht. Sie braucht dringend Bettruhe. Ich weiß, das fällt einem jungen Mädchen wie ihr schwer, aber wir müssen sichergehen, dass ihr Herz nicht geschädigt wird. Geben Sie ihr jeden Tag eine von den Tabletten, das hilft ihr, schneller wieder zu Kräften zu kommen.«
    »Ich bin zurück«, sagte Hannah statt einer Begrüßung, legte die Medizin auf den Tisch und zog ihren Schal vom Mund. »Wie geht es Dorothy?«
    Der Arzt erhob sich und blickte sie ernst an. »Ich habe sie und alle anderen Dorfbewohner gespritzt. Meist stecken sich nur Kinder an, aber ich möchte kein Risiko eingehen.« In seinen Augen zeigte sich Reue. »Sie hatten recht, es ist Diphtherie, und wenn mich der verrückte Pilot nicht gekidnappt hätte, wäre sie wahrscheinlich gestorben. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Weil es sich um eine Indianerin handelt, hätte man wahrscheinlich auf eine Anzeige verzichtet, und ich wäre um eine Verhandlung herumgekommen …«
    »… aber Sie hätten nicht mehr in den Spiegel blicken können, ohne dass Ihnen schlecht geworden wäre.« Sie deutete auf die Medizin. »Die Spritzen hat mir Schwester Becky mitgegeben. Wenn mir jemals zu Ohren kommt, dass Sie ihr deswegen Schwierigkeiten machen oder ihr gar kündigen, führe ich ein längeres Gespräch mit dem News-Miner , und Sie können in Zukunft in Timbuktu oder sonst wo praktizieren. Etwas ganz anderes, nämlich dass ich Sie für einen vorbildlichen Arzt halte, der entscheidend zum Aufbau eines wirkungsvollen Gesundheitswesens in diesem Land beigetragen hat, werde ich denen erzählen, wenn Schwester Becky in Zukunft wieder regelmäßig zum Gold River fahren darf.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich kann mich doch auf Sie verlassen, werter Doktor Winslow?«
    Der Doktor stellte seine Tasche auf den Tisch und verschloss sie, während er die schneeverkrustete und vermummte Gestalt vor sich neugierig musterte. »Schon gut, Ma’am, machen Sie sich ruhig über mich lustig. Ich weiß, dass ich falsch gehandelt habe, aber dieser Pilot lässt mich schon genug leiden. Während des Fluges wäre ich beinahe erfroren, so verdammt kalt war es da oben. Und gleich wieder …«
    »Sie werden es überleben, Doktor. Zur Not nehmen Sie eine Pille.«
    »Gegen die Kälte in Alaska gibt es keine Medizin.«
    Chief Alex dankte dem Arzt, indem er ihm beide Hände auf die Schultern legte, was dieser stocksteif über sich ergehen ließ, dann wandte er sich an sie. »Hannah«, nannte er sie

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